Die leere Paketbox

Rezension von Amtsgericht Pirna, Endurteil vom 03.11.2023, Az.: 13 C 272/23

Der Fall ist schnell erzählt:

Der Käufer bestellte, bezahlte und erhielt die Waren geliefert. Einen Tag später widerrief er den Kaufvertrag und wollte seinen Kaufpreis zurück. Die Kaufsache allerdings langte nicht beim Händler ein! Der Käufer klagte und wies einen DHL-Einlieferungsbeleg vor. Der Händler – vertreten durch mich – verweigerte die Rückzahlung des Kaufpreises.

Wir konnten ein Schreiben der DHL vorlegen, das bestätigte, dass die Paketbox leer war:

„Vor dem Hintergrund des leeren Faches der Packstation, müssen wir bestreiten, dass die Sendung zur Beförderung übergeben worden ist.“

Dagegen legte der Kläger eine Eidesstattliche Versicherung seiner Mutter vor, „welche das Einlegen des entsprechenden Pakets beobachtet haben will“, wie es das Amtsgericht Pirna vornehm-zurückhaltend ausdrückte.

Schließlich hat das Gericht sogar eine Mitarbeiterin der DHL schriftlich als Zeugin vernommen:

„Diese hat erneut bestätigt, dass der zuständige Mitarbeiter der DHL keine Warensendung des Klägers in der Packstation vorgefunden habe. Eine entsprechende Sendung sei auch im Lager der DHL für Fundsendungen vorhanden. Die Zeugin hat zugleich aber klargestellt, dass sie nicht abschließend beurteilen könne, ob der Kläger die Sendung tat sächlich gar nicht erst in die Packstation eingelagert hätte oder ein Fehler des entleerenden Mitarbeiters bzw. ein technischer Fehler vorlag. Sie hat lediglich darauf hingewiesen, dass der Sendungsbeleg letztlich automatisch generiert wird und daher kein sicherer Nachweis dafür sei, dass die Sendung auch tatsächlich in die Packstation eingelegt worden ist.“

Mit der Aussage der Mutter hat sich das Gericht – sehr zu Recht! – kritisch auseinandergesetzt:

„Die vorliegende schriftliche Aussage der Mutter des Klägers ist extrem knapp gehalten und beschränkt sich im Wesentlichen auf eine stichwortartige Aufzählung der Handlungen, welche die Zeugin wahrgenommen haben will. Auch der Kläger selbst hat nach einem entsprechenden Vorhalt des Beklagten jedenfalls nicht eindeutig bestritten, dass die schriftlichen Aussagen unterschriftsreif vorgefertigt gewesen seien. Vor diesem Hintergrund sind die Angaben der Mutter des Klägers nicht ausreichend, um die oben beschriebene Unsicherheit über den tatsächlichen Hergang zur Überzeugung des Gerichts tatsächlich auszuräumen.“

Das ging dann folgerichtig auch zu Lasten des Klägers.

Rechtliche Einordnung und Beweiswürdigung

Erinnern Sie sich an die Muster-Widerrufsbelehrung? Steht da nicht der Satz:

„Wir können die Rückzahlung verweigern, bis wir die Waren wieder zurückerhalten haben oder bis Sie den Nachweis erbracht haben, dass Sie die Waren zurückgesandt haben, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist.“?

Ich glaube, das ist der einzige für Händler günstige Satz in der Widerrufsbelehrung!

Der war dann auch die Lösung des Falles: Der Händler berief sich auf sein Zurückbehaltungsrecht aus § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB.

Der Kläger konnte den Nachweis nicht erbringen, dass er die Waren abgesandt hatte.

Dem stand schon die Bestätigung der DHL entgegen, dass die DHL das Paketfach leer vorgefunden hat. Wie der Kläger den Einlieferungsbelegt erzeugt hatte, konnte anfänglich noch nicht erklärt werden. Der Bescheinigung von DHL würde jedoch ein höherer Beweiswert beizumessen sein, da die DHL gegenüber Einem von Millionen persönlich unbekannten Kunden keinerlei Belastungstendenz nachzusagen sein dürfte, während der Kläger in Person einen, vermeintlich für ihn günstigen Beleg präsentierte. Selbst wenn man dabei zu dem Ergebnis käme, dass Aussage gegen Aussage stünde, wäre damit kein Beweis erbracht. In jedem Falle aber stünde die Bescheinigung der DHL der Behauptung des Klägers, er habe die Rücksendung in die Paketbox eingelegt, effektiv entgegen; diese Behauptung war damit widerlegt.

Auch die Regelung nach § 355 Abs. 3 Satz 4 BGB, wonach bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Unternehmer trage, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Weil die Rücksendung überhaupt noch nicht begonnen hatte! Die DHL hatte nichts vorgefunden, was sie hätte befördern können. Die Regel des § 355 Abs. 3 Satz 4 BGB deckt den Zeitraum der Rücksendung ab; der Verbraucherverkäufer soll für den Transporteur einstehen. Die Regel deckt keine Zeiträume vor Beginn oder mangels Beginnes der Rücksendung ab. Diese Verantwortung liegt in der Tat beim Käufer. Nachdem nun die DHL bestätigte, dass sie mit der Rücksendung überhaupt noch nicht begonnen hatte und mangels Rücksendegutes auch nicht beginnen konnte, konnte die Gefahrtragungsregel nicht greifen.

Die Einlieferungsbeleg ist maschinell erzeugt („noreply@dhl.de“), während die nachträgliche Bestätigung der DHL von einem realen Menschen, die später als Zeugin schriftlich aussagte, erteilt worden war. Bereits der Bestätigung der DHL, dass die Paketbox leer gewesen sei, dürfte ein höherer Beweiswert gegenüber dem Einlieferungsbeleg beizumessen sein. Man könnte sogar in der Bestätigung der DHL, dass die Box leer gewesen ist, eine Berichtigung der Aussage des „Einlieferungsbeleges“ sehen. So dass auch die Frage, wie der Einlieferungsbeleg entstanden ist, die möglicherweise auch nur mit strafrechtlichem Instrumentarium zu beantworten wäre, an dieser Stelle dahinstehen konnte. Da auch von keinen Einbruchsspuren an der Paketbox die Rede war, war es sehr wahrscheinlich, dass in diese Paketbox nichts eingelegt wurde. Die DHL jedenfalls hat die Box unversehrt und leer vorgefunden. Und das auch bestätigt.

Eine leere Box ist nun einmal eine leere Box

Für diese Leere in der Box kann der Betreiber der Box nicht verantwortlich gemacht werden; erst recht nicht der potentielle Empfänger der Rücksendung. Mangels eines Gutes, das untergehen könnte, greifen auch die Regeln über den Untergang von Gütern hier nicht ein.

Was mangels Existenz in dieser Box nicht untergehen kann, kann auch nicht zu Lasten einer Partei oder zugunsten der anderen untergehen. Kurz: Was von vornherein gar nicht da ist, das kann auch nicht untergehen.

Den Einlieferungsbelg kann man problemlos selbst an der Packstation erzeugen, unabhängig davon, ob man ein Paket eingelegt hat.

Der Ablauf ist der Folgende:

  • DHL Label erstellen
  • an der Packstation Barcode einscannen
  • es öffnet sich ein Paketfach und man wird aufgefordert, ein Paket dort einzulegen
  • Paket einlegen oder auch nicht (letzteres könnte eine Strafbarkeit nach sich ziehen)
  • Am Display wird abgefragt, ob ein Paket eingelegt wurde und man muss dies auf dem Display bestätigen. Dies geht auch ohne Einlegen eines Paketes, da es keine Waage oder elektronische Überwachung des Faches (z.B. Kamera) gibt (Disclaimer wie eben!).
  • Danach erhält man eine Einlieferungsbestätigung

So lautete dann auch die schriftliche Zeugenaussage der DHL:

„Ob der Kunde die Sendung tatsächlich eingelegt hat, kann erst durch unseren Mitarbeiter bei Entleerung der Packstation erfolgen. Dieser hat im konkreten Fall, wie bereits dargelegt, gescannt, dass sich in dem Packstationsfach, in welchem die Sendung eingelegt worden sein soll, keine Sendung befunden hat.“.

Das beweist nicht, dass ein Paket eingelegt wurde. Vielmehr dürfte es nach dieser Zeugenaussage erwiesen sein, dass der Kläger kein Paket in die Packstation eingelegt hat. Damit wäre sogar der Gegenbeweis erfolgreich geführt.

Demgegenüber vermochte die schriftliche Zeugenaussage der Mutter des Klägers nicht zu überzeugen. An der Glaubwürdigkeit waren Abstriche zu machen, denn sie ist die Mutter des Klägers und dürfte nach allgemeiner Lebenserfahrung die Tendenz haben, das Vorbringen ihres Sohnes zu unterstützen. Zudem war die Aussage formelhaft („anwesend war oder festgestellt hat“). Das Formular war semiprofessionell vorgefertigt und lediglich unterschrieben. Die Aussage war hinsichtlich des angeblichen Einlegens des Paketes nicht detailhaft und inhaltsreich, sondern punktuell und nichtssagend. Die Aussage ging im Grunde genommen inhaltlich nicht über den Parteivortrag hinaus; ihr Beweiswert war daher von vorn herein eingeschränkt bis nicht vorhanden. Es war auch kein Datum angegeben, wann die Zeugin die angeblichen Wahrnehmungen gehabt haben wollte; weiterführende Anhaltspunkte oder Umstände, die dem Gericht eine Einordnung und unabhängige Beweiswürdigung überhaupt erst ermöglichen hätten können, fehlen. Im Übrigen gab es für eine schriftliche Zeugeneinvernahme dieser Zeugin keine gerichtliche Anordnung. Damit fehlte die Rechtsgrundlage für diese „Zeugeneinvernahme“; sie wirkte auch etwas „vorgeschoben“ und konstruiert; mithin unglaubhaft.

Es bestehen unserer Ansicht nach sogar Anhaltspunkte für eine in Betracht kommende Strafbarkeit; insbesondere in Zusammenschau mit der – angeordneten – schriftlichen Zeugeneinvernahme der DHL, die eben ganz anders lautete!

Aus Sicht des Klägers standen hier bestenfalls Aussage gegen Aussage; auch damit wäre der ihm obliegende Beweis nicht erbracht.

Das Amtsgericht Pirna ist uns hier erfreulicherweise in allen Punkten gefolgt!

Und die Moral von der Geschicht‘

Die Sache war semiprofessionell aufgezogen und wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine „Masche“ vorliegt. Das führt zu der Frage, wie viele Onlinehändler – in vielleicht vergleichbaren Fällen – auf so eine Geschichte hereinfallen würden: Widerruf, Kaufpreisrückforderung; aber eben eine leere Paketbox bei der Einlieferung der zurückzugebenden Kaufsache in eine Packstation der DHL (oder eines anderen Logistikers).

Es lohnt sich, die Dinge auch in so „kleinen“ Fällen kritisch zu hinterfragen und sorgfältig zu prüfen. Onlinehändler wissen, gutlaufende Produkte können schnell mal in Serie gehen.

Lesen Sie hier die Entscheidung im Original; ein kleines Fehlerchen – Wer findet es? – ist bereits zur Berichtigung beantragt:

Inzwischen gibt es einen nicen Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts Pirna vom 29. Februar 2024, dem zusätzlichen Tag, den es wohl aller vier Jahre einmal gibt. Auch im Berichtigungsverfahren konnte sich der Kläger mit seiner Rechtsansicht nicht durchsetzen. Das Vorhandensein eines 29. Februar – von Zeit zu Zeit – zeigt, wie schwer es uns doch fällt, einen nach menschlichen Maßstäben perfekten Kalender an die unendliche Perfektion des Universums anzupassen. Das ist wie, wenn in einem Urteil mal das kleine Wörtchen „nicht“ fehlen würde, was natürlich genau so selten vorkommt. Und falls doch, sofort berichtigt wird; auf Antrag natürlich. Also wieder einmal: Ein Lob des Lesens und ein Dank nach Pirna!