Archiv der Kategorie: Aktuelle Entscheidungen

Server Blackout

Des Nachts, als alles schlief, ging der Server des Dienstleisters in die Knie. Genauer gesagt: verhustete sich. Oder träumte schlecht. Alle Preise des Mandanten – auch die auf einer schönen Plattform, nennen wir sie A. – wurden falsch angezeigt. Plötzlich kosteten alle Produkte, alle, also auch die preisintensiven, knapp unter 20 Euro. Der Alptraum eines jeden Händlers. Und der Wunschtraum eines jeden Schnäppchenjägers.

Nun konnte man ja auch nicht so einfach, was für den Uneingeweihten vielleicht nahe liegen würde, alle diese Angebote abbrechen. Denn dann ginge die Verkäuferperformance auf Null oder doch ziemlich weit herunter. Maßnahmepläne müssen geschrieben werden („Plan Of Action“). Accountsperre droht! Falls diese Plattform dann auch noch der einzige Verkaufskanal wäre; Sie wissen, was ich sagen will. Oder ahnen es.

Die Situation erzeugte, wie Sie sich vorstellen können, sehr viel außerplanmäßige Arbeit beim Mandanten. Es betraf rund einhunderttausend Artikel. Kaufverträge mussten angefochten werden. Kaufpreise waren zu erstatten.

„Leider ist es hier zu einem Preisfehler gekommen. Beim Übertragen der Artikel auf A. wurde durch einen Serverfehler bei unserem Drittanbieter ein falscher Preis für über 100.000 Artikel hinterlegt. Dies hat zur Folge, dass wir Ihre Bestellung stornieren müssen.“

Aus der Kundeninformation

100.000 waren betroffen. 99.999 hatten Verständnis. Einer klagte! Auf Schadensersatz wegen nicht erbrachter Leistung. Natürlich in Höhe des wirklichen Wertes des nicht unbeträchtlichen Teils, was er da erstanden zu haben meinte. Gier frisst Hirn, könnte man denken.

Meine Erwiderung

Ich habe meine Verteidigung dann relativ knapp, und wie immer hart am Gesetz, gehalten:

„Der Kaufvertrag ist wirksam und rechtzeitig gemäß §§ 119 Abs. 1, 120, 121 Abs. 1 BGB angefochten worden, so dass der vorgetragene Schadensersatzanspruch nicht besteht.

1.

Der Beklagten stand ein Anfechtungsgrund zur Seite (§ 120 i.Vm. § 119 BGB).

Die zur Übermittlung des Kaufpreises von der Beklagten an A. verwendete Einrichtung, die XXX, hat diesen falsch übermittelt. Grund war ein Serverfehler bei dieser Einrichtung. Das folgt aus der vorgelegten Bestätigung der XXX.

Die Beklagte hätte bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger Würdigung des Falles diesen YYY nicht für XX € angeboten, weil der Marktpreis für Verbraucher für diese YYY um die X.XXX € beträgt, wie sich bereits mittelbar aus der Klage selbst ergibt.

2.

Die Anfechtung erfolgte auch unverzüglich (§ 121 Abs. 1 BGB).

Die Beklagte hat nicht schuldhaft gezögert. Der Serverfehler betraf bei der Beklagten über 100.000 Artikel. Alle diese waren zu prüfen und die Kaufverträge anzufechten. Der Serverfehler geschah am 14./15.XX.20XX. Die Beklagte hat bereits am 19.XX.20XX angefochten. Vor dem Hintergrund der sehr hohen Anzahl der rückabzuwickelnden Kaufverträge ist hier keine schuldhafte Verzögerung erkennbar.

Zur wirksamen Erklärung einer Anfechtung ist die ausdrückliche Verwendung des Begriffes „Anfechtung“ nicht nötig, vielmehr ausreichend und erforderlich, dass der Anfechtende hinreichend klar und deutlich zum Ausdruck bringt, dass er am Vertrage nicht mehr festhalten will. Dem hat die Beklagte mit den Worten „Dies hat zur Folge, dass wir Ihre Bestellung stornieren müssen“ entsprochen, unterstrichen durch die Darlegung des Anfechtungsgrundes sowie auch der Bitte um Entschuldigung für die entstandenen Unannehmlichkeiten.

3.

Auf die beiliegende Entscheidung des Bundesgerichtshofs, Urteil vom 26. 1. 2005 – VIII ZR 79/04 wird Bezug genommen.“

Aus meiner Klageerwiderung

Die Entscheidung des Amtsgerichts

Ich mach es dieses Mal mal kurz: Das Amtsgericht hat mir Recht gegeben. So wie es auch das Amtsgericht kurz gemacht hat:

„Der Kläger hat keinen Anspruch aus den zwischen den Parteien beschlossenen Kaufvertrag. Es ist zwar zunächst ein Kaufvertrag unter dem 15.XX.20XX zwischen den Parteien über ein YYY zum Kaufpreis von XX,00 EUR geschlossen worden. Die Beklagtenseite hat jedoch diesen Kaufvertrag unverzüglich gemäß § 119 Abs. 1 BGB wegen Irrtumes angefochten. Die Beklagte hat schlüssig und gut nachvollziehbar vorgetragen, aufgrund eines Serverfehlers in der Nacht vom 14. auf den 15.XX.20XX sei der falsche Artikelpreis von XX,00 EUR ausgeführt worden. Der Vortrag ist ausreichend belegt durch die Vorlage des Bestätigungsschreibens der Firma XXX vom 15.XX.20XX (Anlage B2). Die Beklagte hatte sich bei der Abgabe des Angebotes hinsichtlich des Kaufpreises in einem Irrtum befunden, da statt des Preises von über XXXX,00 EUR ein Preis, wie auch bei anderen Artikeln der Beklagten, von nur XX,00 EUR eingestellt worden war. Aufgrund der sofortigen Anfechtung des Kaufvertrages, ist dieser tatsächlich nicht wirksam zustande gekommen und der Kläger hat keinen Schadensersatzanspruch. Da ein Anspruch auf Zahlung über Hauptforderung entfiel, bestand auch kein Anspruch auf Zahlung der Nebenforderung.“

Aus den Entscheidungsgründen, Amtsgericht Siegen, Urteil vom 14.07.2022, 14 C 94/22

Es kam zur Berufung

Das Landgericht hat einen zarten Hinweis gegeben, dass es beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen; der Kläger hat seine Berufung daraufhin zurückgenommen.

„1.

Die mit der Berufungsschrift vorgetragenen Einwände sind nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu begründen.

Das Amtsgericht hat im Ergebnis zu Recht eine wirksame Anfechtung des streitgegenständlichen Kaufvertrages durch die Beklagte bejaht und Schadensersatzansprüche des Klägers verneint.

Die E-Mail der Beklagten vom 19.XX.20XX ist als Anfechtungserklärung i.S.d. § 143 BGB auszulegen, denn eine solche stellt jede Willenserklärung dar, die erkennen lässt, dass der Anfechtungsberechtigte seine vorangehende Erklärung nicht gelten lassen will. Insoweit ist es unerheblich, dass in der E-Mail nur von „stornieren“ und nicht von „anfechten“ die Rede ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Juni 1984 – IX ZR 66/83, BGHZ 91, 324-333).

Es liegt ein Anfechtungsgrund gemäß § 120 BGB i.V.m. § 119 BGB vor. Ein solcher Inhaltsirrtum in Form einer unrichtigen Übermittlung liegt auch dann vor, wenn ein bezüglich der invitatio ad offerendum im Online-Shop des Verkäufers vorliegender, relevanter Irrtum in der auf den Vertragsschluss gerichteten Annahmeerklärung fortwirkt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Januar 2005 – VIII ZR 79/04 –, juris, Rn. 15). Dieser Anfechtungsgrund ist entgegen der Ansicht des Klägers hinreichend dargelegt. In dem von der Beklagten vorgelegten Schreiben der XXX vom 15.XX.2021 (Bl. 37 f. d. Akte des AG) heißt es:

„Bitte erstellen Sie ein Ticket in Ihrem A. ppp mit folgendem Inhalt:

Liebes A. Team,

aufgrund eines Server-Fehlers bei unserem Drittanbieter für Repricing, der XXX, wurden seit gestern Abend und heute Nacht die Preise sowie Mengen unserer Produkte falsch zu Ihnen importiert. Es handelt sich um alle Produkte mit einem Artikelpreis in Höhe von XX €. Bitte stornieren Sie alle
Bestellungen, die seit gestern Abend mit einer Höhe von XX € ausgelöst
wurden. Bitte aktivieren Sie die Artikel mit Höchstpreisfehler wieder.“

Darüber hinaus weist bereits der angegebene Preis für den Kaufgegenstand evident auf einen Irrtum des Verkäufers hin. Dieser lag bei noch nicht einmal 1,5 % des marktüblichen Verkaufspreises, so dass sich bereits aus dem objektiven Empfängerhorizont des Käufers ein Irrtum des Verkäufers aufdrängen musste. Dies führt zudem dazu, dass die Annahme eines nicht zur Anfechtung berechtigenden Kalkulationsirrtums (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 19. Mai 2016 – I-16 U 72/15 –, juris, Rn. 58) in der vorliegenden Konstellation nicht in Betracht kommt.

Die Anfechtung durch die Beklagte ist entgegen der Auffassung des Klägers auch rechtzeitig i.S.d. § 121 BGB erfolgt. Eine Anfechtung muss in den Fällen der §§ 119, 120 ohne schuldhaftes Zögern (unverzüglich) erfolgen, nachdem der Anfechtungsberechtigte von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt hat. Zutreffend weist der Kläger darauf hin, dass der Anfechtungsgrund – unter Zugrundelegung des Vortrages der Beklagten – bereits am 15.XX.20XX bekannt gewesen ist. Die Anfechtungserklärung ist aber schon am 19.XX.20XX erklärt worden. Unverzüglich bedeutet nicht „sofort“; vielmehr steht dem Anfechtungsberechtigten eine nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessende Prüfungs- und Überlegungsfrist zu. Die Interessen des Anfechtungsgegners nach Beschleunigung sind mit der für den Anfechtenden gegebenen Notwendigkeit zur Prüfung und Überlegung abzuwiegen (vgl. Staudinger/Singer (2021) BGB § 121, Rn. 8). Ein Zeitraum von bis zu 2 Wochen wird in der Rechtsprechung (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 4. April 2019 – I-5 U 40/18 –, juris) als vertretbar angesehen. Eine Anfechtung des Kaufvertrages im Internethandel vier Tage nach der Auftragsbestätigung ist jedenfalls als rechtzeitig anzusehen (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 12. Januar 2004 – 13 U 165/03 –, juris). Die Anfechtung erfolgte zudem vor der angekündigten Zustellung, die ausweislich der Anlage K1 (Bl. 5 der Akte des Amtsgerichts) erst für den 19. bis 20.XX.20XX vorgesehen war.

Dem Kläger steht auch kein Schadensersatzspruch aus §§ 311 Abs. 2, 280 Abs.1 BGB oder aus § 122 BGB zu, denn der Ersatz des Erfüllungsinteresses scheitert daran, dass ein Vertrag über den Kaufgegenstand nicht zu günstigeren Bedingungen zustande gekommen wäre, und ein Vertrauensschaden ist bereits nicht dargelegt.

2.

Daneben kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch ist eine Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder zur Fortbildung des Rechts erforderlich. Es handelt sich vielmehr um einen Rechtsstreit aus dem Gebiet des Kaufvertragsrechts, zu dem bereits Rechtsprechung des BGH ergangen ist. Eine mündliche Verhandlung erscheint schließlich angesichts des Sachverhalts auch sonst nicht geboten.“

Aus dem Hinweisbeschluss des Landgerichts Siegen vom 30.03.2023, 3 S 46/22

Danke, Amtsgericht und Landgericht Siegen. Danke Bundesgerichtshof.

Feinsinniges für Insider

Und die Frage nach der invitatio ad offerendum („im Online-Shop des Verkäufers“) und der Vertragsschlusslogik auf der Plattform A., die lassen wir hier an dieser Stelle einfach mal dahinstehen. Der geneigte Leser aus dem Kreise der Fachkundigen weiß, was ich meine. Die anderen überlesen bitte meine Anmerkung. Aber ok, damit alle ruhig schlafen können, löse ich es auf: Was für die invitatio ad offerendum gilt, muss erst recht für die, sagen wir lieber an dieser Stelle einmal: richtige Vertragserklärung (§ 145 BGB), gelten, in der – wie es das Landgericht so trefflich formuliert – die invitatio „fortwirkt“ 🙂 Ich meine, wenn der BGH den Gedanken auf die invitatio anwendet, wird man ihn auch auf ein Angebot (auf der Plattform A.) anwenden dürfen, erst-recht-Schluss. Oder vielleicht sind ja die „Angebote“ dort doch nur invitatio? Sei es, wie es ist! Und: Das Landgericht kann zur Begründung heranziehen, was zur Begründung geeignet ist. Durch die Rücknahme seiner Berufung jedenfalls ging der Kläger seines Rechtsmittels – Wie heißt es doch so schön? – verlustig, § 516 ZPO.

Staubsaugerdüsen

Über die wettbewerbliche Eigenart einer Staubsaugerdüse; zugleich auch ein Beitrag zum Ersatzteilgeschäft / Ersatzteilprivileg aus § 23 Nr. 3 MarkenG

Kennen Sie das W.-Werk aus R.? Nein? Nun, Sie würden es aller Voraussicht nach auch dann nicht kennen, wenn ich den Namen, wie aus verständlichen Gründen hier, nicht abkürzen würde. Das W. hielt die vom Mandanten angebotenen Staubsaugerdüsen für unerlaubte Nachahmungen seiner Staubsaugerdüsen, zweier im Verfahren näher benannter Modelle. Zur Begründung berief es sich auf §§ 3, 4 Nr. 3a) und b) UWG, also auf eine vermeintliche vermeidbare Täuschung der Abnehmer über die betriebliche Herkunft seiner Düsen und eine unangemessene Ausnutzung respektive Beeinträchtigung der Wertschätzung der von ihm geschätzten selbigen. Und beantragte eine einstweilige Verfügung gegen den Mandanten. Die es bis vors OLG Düsseldorf nicht bekommen hat! Aber der Reihe nach.

Das Landgericht in Düsseldorf ließ den vermeintlich beeinträchtigten Düsenerzeuger schon eingangs mit ziemlich eindeutigen Worten abblitzen:

„Der Erlass einer einstweiligen Verfügung im Beschlusswege kommt nicht in Betracht. Es bestehen erhebliche Zweifel an der wettbewerblichen Eigenart der Staubsaugerdüse R…. Es ist fraglich, ob Endverbraucher mit der äußerlichen Gestaltung von Staubsaugerdüsen überhaupt eine Vorstellung von der betrieblichen Herkunft der Düsen entwickeln. Ungeachtet der Tatsache, dass der äußeren Gestaltung der R… allenfalls ein geringer Grad an wettbewerblicher Eigenart zukommt, kommt hinzu, dass zweifelhaft ist, ob die Düsen überhaupt einen Rückschluss auf ihre betriebliche Herkunft ermöglichen, da sie unter Kennzeichnungen verschiedener bekannter, größerer Unternehmen (B…, S…) veräußert werden. Die Endabnehmer werden daher davon ausgehen, dass die Düsen von verschiedenen Herstellern stammen. Auch wenn Herstellerin dieser Düsen tatsächlich die Antragstellerin sein sollte, dürfte diese für den Endabnehmer durch den Hinweis „powered by W.“ auf der Produktverpackung nicht deutlich werden. Der Vortrag, auch die Düse selbst sei mit einer Marke der Antragstellerin ausgestaltet, ist ohne Substanz, da entsprechende Abbildungen, aber auch Muster der R… oder der angegriffenen Ausführungsform nicht vorliegen.

Soweit die Antragstellerin auf das Verständnis der Großhändler und Staubsaugerhersteller abstellt, mag eine wettbewerbliche Eigenart gegeben sein allerdings dürfte es an einer vermeidbaren Herkunftstäuschung fehlen, weil die mit den Formen und Marken der Hersteller vertrauten Verkehrskreise aufgrund der Rundung des zentralen Gehäuses für den Rohranschluss unschwer erkennen können, dass das Verletzungsprodukt nicht von der Antragstellerin stammt. Zudem fehlt es an der typischen Kennzeichnung mit der Marke der Antragsgegnerin. Im Übrigen ist fraglich, ob die Parteien in dieser Hinsicht im Wettbewerb stehen. …“

LG Düsseldorf, (Hinweis-) Beschluss vom 02.03.2021, Az. 4b O 17/21

Der Antragstellerin wurde aufgegeben mitzuteilen, ob denn überhaupt Termin anberaumt werden solle, ohne den die Kammer nicht entscheiden würde. Das W.-Werk wollte seinen Termin und dieser wurde schriftsätzlich umfänglich vorbereitet. Hier hatte ich dann Gelegenheit, unsere Sichtweise auf die Dinge, die da Staubsaugerdüsen waren, darzulegen. Und das tat ich dann auch:

Über die wettbewerbliche Eigenart einer Staubsaugerdüse

„Die Staubsaugerdüse R… verfügt nicht über wettbewerbliche Eigenart. Endverbraucher verbinden mit der äußerlichen Gestaltung von Staubsaugerdüsen keine Vorstellung von deren betrieblicher Herkunft. Für Verbraucher ist beim Kauf eines Ersatzteils oder Zubehörteils für einen Staubsauger die Marke des Staubsaugers ausschlaggebend, auch der Preis des Ersatzteils. Beim Ersatzteilkauf ist es entscheidend, dass dieses Ersatzteil zur Marke des Staubsaugers passt, wie die Antragstellerseite auch erkannte („Kompatibilität“). Das heißt, beim Ersatzteilkauf gehen die Vorstellungen des Verbrauchers – über die Frage, ob das zu erwerbende Ersatzteil zur Marke (betrieblichen Herkunft) des Staubsaugers passt; „passend zu B…“, „passend zu S…“ – zur betrieblichen Herkunft des Staubsaugers, nicht des Ersatzteils. Beim Ersatzteilkauf sucht der Verbraucher nach der Marke des (hier:) Staubsaugers, nicht nach der Marke des Ersatzteils. Die betriebliche Herkunft des Ersatzteils ist für den Verbraucher ohne Bedeutung. Deshalb macht sich der Verbraucher regelmäßig auch keine Gedanken darüber. Die äußerliche Gestaltung einer Staubsaugerdüse bietet dazu weder Anlass noch Grund. …

Bereits die Vielzahl der von der Antragstellerin selbst in Varianten für die verschiedenen Staubsaugerhersteller auf den Markt geworfenen Staubsaugerdüsen würde es selbst einem besonders verständigen oder sehr gut informierten Verbraucher vollkommen unmöglich machen, Qualitätsüberlegungen hinsichtlich einer dieser Varianten anzustellen, zumal der Verbraucher auch auf andere Qualitäten von Bodendüsen trifft, wie z.B. die von der Antragsgegnerin verkauften, die unter Umständen noch viel herausragender als die von der Antragstellerin sind. …

Ein Staubsauger wird auch nicht als ein mehrteiliges Produkt vom Verbraucher wahrgenommen. Der Staubsauger hat Zubehörteile, die auf Grund erhöhter Beanspruchung von Zeit zu Zeit ausgetauscht werden müssen. Primärbeispiel dafür ist der Staubsaugerbeutel, wie auch diverse Filter und eben auch die Bodendüse. Das macht einen Staubsauger nicht zum dreigliedrigen Gerät, sondern eben zu einer Hauptsache – der Staubsauger an sich – und Zubehör – die genannten Teile, etwa auch die Bodendüse.“

Aus unserer Antragserwiderung, Hervorhebungen von mir

Keine Rufausbeutung wegen Ersatzteilprivilegs

Es lag meiner Ansicht nach auch keine Rufausbeutung vor. Das wird man bereits mit der gesetzlichen Wertung aus § 23 Nr. 3 MarkenG begründen können und müssen. Schließlich auch damit, dass der Ruf der – im Wege des herstellereigenen respektive herstellergesteuerten Ersatzteilgeschäftes – vertriebenen Ersatzteile (beabsichtigterweise) von der Marke des jeweiligen Staubsaugerherstellers herrührt und nicht von der Bezeichnung (oder betrieblichen Herkunft) eines ihrer Zulieferer.

Über die Vorstellung eines vorteilhaften Saugverhaltens, die Länge des Saugrohres und die Mulde für den Kippschalter

Kurz gesagt, das Landgericht Düsseldorf hat uns Recht gegeben. Und so begründete das LG Düsseldorf seine Entscheidung (u.a.; Hervorhebungen von mir):

„Hingegen kann nicht festgestellt werden, dass die gestalterischen Merkmale der Bodendüse R… geeignet sind, auch gegenüber dem Endverbraucher als Hinweis auf die betriebliche Herkunft zu dienen.
Der durchschnittlich informierte, angemessen aufmerksame und kritische Verbraucher orientiert sich beim Kauf eines Staubsaugers an der Herstellerkennzeichnung, denn Staubsauger werden üblicherweise als Markenprodukte beworben und vertrieben. Daneben fließen üblicherweise auch technische Leistungsmerkmale und das Design des konkreten Staubsaugers in die Kaufentscheidung mit ein.
Der Verbraucher sieht hingegen in der äußeren Gestaltung der Staubsaugerdüse des konkreten Staubsaugers keine kaufrelevante Eigenschaft. Denn beim Erwerb entscheidet sich der Verbraucher in der Regel für einen Staubsauger als komplettes Paket mit Staubsaugerdüse und Zubehör. Der Verbraucher entwickelt daher mit der Gestaltung einer Staubsaugerdüse keine Vorstellung von der betrieblichen Herkunft der Staubsaugerdüse. Vielmehr liegt das Hauptaugenmerk bei der Kaufentscheidung auf der Marke des Staubsaugers, die sich häufig zudem noch auf der Bodendüse selbst befindet. Umstände, wonach neben der Marke des Staubsaugerherstellers selbst auch die Form der Bodendüse (nebst Kennzeichnung) als eigenständiger betrieblicher Hinweis auf die Herkunft aus einem anderen Unternehmen dient, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Verbraucher beim Kauf von Staubsaugern regelmäßig davon ausgeht, dass die jeweiligen Einzelteile (Gehäuse, Schlauch, Bodendüse etc.) von unterschiedlichen Herstellern bezogen werden.
Das gilt auch beim Kauf von Ersatzteilen und Zubehör. Dabei stützt der Verbraucher seine Kaufentscheidung ebenfalls nicht auf die Ausgestaltung der Bodendüse selbst. Vielmehr sucht er regelmäßig nach Ersatzteilen für seinen Staubsauger des konkreten Herstellers. Entscheidend ist dabei, dass das Ersatz- bzw. Zubehörteil mit dem Staubsauger selbst kompatibel ist. Schließlich kann auch aufgrund des Umstandes, dass ein umfangreicher Ersatzteil- und Zubehörmarkt besteht, nicht angenommen werden, dass der Verbraucher tatsächlich den Gestaltungsmerkmalen der Bodendüse selbst eine herkunftshinweisende Funktion zuerkennt. Denn dies belegt lediglich ein bestehendes Interesse des Verbrauchers am Kauf von Ersatz- und Zubehörteilen, nicht aber ein solches an Gestaltungsmerkmalen einzelner Staubsaugerteile wie der hier streitgegenständlichen Bodendüse.
An der wettbewerblichen Eigenart fehlt es vor allem deshalb, weil die Bodendüse R…, wie die Verfügungsbeklagte zurecht einwendet, von der Verfügungsklägerin an unterschiedliche Staubsaugerhersteller vertrieben wird, die diese Düse deutlich sichtbar mit ihrer eigenen Marke versehen. Der angesprochene Verbraucher hat regelmäßig keine Veranlassung anzunehmen, dass identische Produkte, die unter verschiedenen Herstellermarken und zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden, vom selben Hersteller stammen. Da es die Funktion der Marke ist, dem Verkehr die Ursprungsidentität des damit gekennzeichneten Produkts zu garantieren, wird der Verkehr vielmehr annehmen, dass verschiedene Marken auf eine unterschiedliche betriebliche Herkunft der entsprechend gekennzeichneten Produkte hinweisen (BGH, GRUR 2015, 1012 Rn. 10 – Nivea Blau, BGH, GRUR 2016, 720 Rn. 26 – Hot Sox, OLG Köln, GRUR-RR 2014, 336, 338 – Thermosteckverbinder). Da es sich bei den aufgedruckten Marken auch nicht nur um Handelsmarken, sondern um die Marken bekannter Staubsaugerhersteller handelt, hat der Endabnehmer – auch im Ersatzteilgeschäft – keine Veranlassung, die Bodendüse aufgrund ihrer äußeren Gestaltung einem bestimmten Hersteller zuzuordnen. Die äußeren Gestaltungsmerkmale sind insofern als Herkunftshinweis nicht geeignet.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Bodendüse R… der Verfügungsklägerin mit ihrer eigenen Marke versehen ist. Tatsächlich findet sich die Marke in der Mulde für den Kippschalter der Bodendüse. Sie fällt bereits deshalb nicht auf, weil sie aufgrund der Ausprägung im Kunststoff der Düse farblich nicht hervorgehoben ist. Hinzu kommt, dass die Marke der Verfügungsklägerin in einer der beiden Schalterstellungen verdeckt und daher nicht sichtbar ist. Aber auch in der an deren Schalterstellung ist die Marke kaum auszumachen, weil sie in der Mulde von Wänden und dem Schalter umgeben ist, so dass sie nur aus bestimmten Blickwinkeln erkennbar ist. Wird weiterhin davon ausgegangen, dass der Verbraucher bei der Benutzung des Staubsaugers aufgrund der Länge des Saugrohrs von dem Kippschalter regelmäßig weiter entfernt ist, wird er die Marke der Verfügungsklägerin nicht wahrnehmen. Selbst wenn er ihr zufällig gewahr wird, wird er sie mangels Bekanntheit beim Endverbraucher auch in Abgrenzung zur Marke der Staubsaugerhersteller nicht einzuordnen wissen. Denn auch in der Werbung oder in den Abbildungen der Bodendüsen wird die Marke der Verfügungsklägerin nicht herausgestellt.
Etwas anderes gilt nur für die Produktverpackung von „S…“, die neben der Marke der Verfügungsklägerin den Aufdruck „powered by W…“ trägt. Allerdings führt auch dies nicht dazu, dass sich die Bodendüse R… aufgrund ihrer äußeren Gestaltung einem bestimmten Hersteller zuordnen lässt. Denn außer der Marke der Verfügungsklägerin findet sich auf der Produktverpackung auch die Marke „S…“, so dass auch dieses Unternehmen als Hersteller in Betracht kommt. Zudem lässt der Begriff „powered by“ nicht erkennen, dass Hersteller der Bodendüse die Verfügungsklägerin ist, auf die auch die äußere Gestaltung der Düse zurückgeht. Der Begriff – in deutscher Übersetzung etwa „angetrieben durch“ – lässt allenfalls die Vorstellung eines vorteilhafteren Saugverhaltens aufgrund eines technischen Beitrags der Verfügungsklägerin zur Konstruktion der Düse zu, nicht aber die der Herstellereigenschaft der Verfügungsklägerin.“

LG Düsseldorf, Urteil vom 20.05.2021, Az. 4b O 17/21

Die Länge des Saugrohres verhindert die Wahrnehmung der Marke, die in der Mulde für den Kippschalter verborgen ist – Da muss man erst mal drauf kommen! Bemerkenswert, Landgericht Düsseldorf!

Lesen Sie hier das rezensierte Urteil, LG Düsseldorf, 4b 17/21

Eins nach dem anderen

Die Geschichte erhielt eine Dramatik dadurch, dass neben meinem Mandanten ein zweiter Händler verklagt worden war. Mit diesem einigte sich das W.-Werk in wirklich aller letzter Minute vor der Urteilsverkündung, mir wurde dieser Vergleich ebenso angeboten, ich konnte dieses Angebot aber aufgrund dienstlicher Verhinderung erst zwei Tage später zur Kenntnis nehmen. Und so kam es zeitgleich mit dem obsiegenden Urteil bei mir an! Manchmal ist es wirklich gut, die Dinge eins nach dem anderen zu bearbeiten!

Die ganze Geschichte

Wöllte man sie erzählen, würde das einen Blogbeitrag mit Sicherheit sprengen! Hierzu müssen Sie sich schon selbst die ergangenen Entscheidungen durcharbeiten. Dabei wünsche ich schon jetzt viel Vergnügen! Und: Es ging vors OLG. Auch dort haben wir gewonnen! Lediglich der in der mündlichen Verhandlung vor dem LG Düsseldorf von mir erörterte „Beluga-Hügel“ am verteidigten Ersatzteil hat es (mit dieser Formulierung) nicht ins Berufungsurteil geschafft; wohl aber das Ersatzteilprivileg. Das Berufungs-Urteil des OLG Düsseldorf, 15 U 41/21, sehen Sie hier:

Die leere Paketbox

Rezension von Amtsgericht Pirna, Endurteil vom 03.11.2023, Az.: 13 C 272/23

Der Fall ist schnell erzählt:

Der Käufer bestellte, bezahlte und erhielt die Waren geliefert. Einen Tag später widerrief er den Kaufvertrag und wollte seinen Kaufpreis zurück. Die Kaufsache allerdings langte nicht beim Händler ein! Der Käufer klagte und wies einen DHL-Einlieferungsbeleg vor. Der Händler – vertreten durch mich – verweigerte die Rückzahlung des Kaufpreises.

Wir konnten ein Schreiben der DHL vorlegen, das bestätigte, dass die Paketbox leer war:

„Vor dem Hintergrund des leeren Faches der Packstation, müssen wir bestreiten, dass die Sendung zur Beförderung übergeben worden ist.“

Dagegen legte der Kläger eine Eidesstattliche Versicherung seiner Mutter vor, „welche das Einlegen des entsprechenden Pakets beobachtet haben will“, wie es das Amtsgericht Pirna vornehm-zurückhaltend ausdrückte.

Schließlich hat das Gericht sogar eine Mitarbeiterin der DHL schriftlich als Zeugin vernommen:

„Diese hat erneut bestätigt, dass der zuständige Mitarbeiter der DHL keine Warensendung des Klägers in der Packstation vorgefunden habe. Eine entsprechende Sendung sei auch im Lager der DHL für Fundsendungen vorhanden. Die Zeugin hat zugleich aber klargestellt, dass sie nicht abschließend beurteilen könne, ob der Kläger die Sendung tat sächlich gar nicht erst in die Packstation eingelagert hätte oder ein Fehler des entleerenden Mitarbeiters bzw. ein technischer Fehler vorlag. Sie hat lediglich darauf hingewiesen, dass der Sendungsbeleg letztlich automatisch generiert wird und daher kein sicherer Nachweis dafür sei, dass die Sendung auch tatsächlich in die Packstation eingelegt worden ist.“

Mit der Aussage der Mutter hat sich das Gericht – sehr zu Recht! – kritisch auseinandergesetzt:

„Die vorliegende schriftliche Aussage der Mutter des Klägers ist extrem knapp gehalten und beschränkt sich im Wesentlichen auf eine stichwortartige Aufzählung der Handlungen, welche die Zeugin wahrgenommen haben will. Auch der Kläger selbst hat nach einem entsprechenden Vorhalt des Beklagten jedenfalls nicht eindeutig bestritten, dass die schriftlichen Aussagen unterschriftsreif vorgefertigt gewesen seien. Vor diesem Hintergrund sind die Angaben der Mutter des Klägers nicht ausreichend, um die oben beschriebene Unsicherheit über den tatsächlichen Hergang zur Überzeugung des Gerichts tatsächlich auszuräumen.“

Das ging dann folgerichtig auch zu Lasten des Klägers.

Rechtliche Einordnung und Beweiswürdigung

Erinnern Sie sich an die Muster-Widerrufsbelehrung? Steht da nicht der Satz:

„Wir können die Rückzahlung verweigern, bis wir die Waren wieder zurückerhalten haben oder bis Sie den Nachweis erbracht haben, dass Sie die Waren zurückgesandt haben, je nachdem, welches der frühere Zeitpunkt ist.“?

Ich glaube, das ist der einzige für Händler günstige Satz in der Widerrufsbelehrung!

Der war dann auch die Lösung des Falles: Der Händler berief sich auf sein Zurückbehaltungsrecht aus § 357 Abs. 4 Satz 1 BGB.

Der Kläger konnte den Nachweis nicht erbringen, dass er die Waren abgesandt hatte.

Dem stand schon die Bestätigung der DHL entgegen, dass die DHL das Paketfach leer vorgefunden hat. Wie der Kläger den Einlieferungsbelegt erzeugt hatte, konnte anfänglich noch nicht erklärt werden. Der Bescheinigung von DHL würde jedoch ein höherer Beweiswert beizumessen sein, da die DHL gegenüber Einem von Millionen persönlich unbekannten Kunden keinerlei Belastungstendenz nachzusagen sein dürfte, während der Kläger in Person einen, vermeintlich für ihn günstigen Beleg präsentierte. Selbst wenn man dabei zu dem Ergebnis käme, dass Aussage gegen Aussage stünde, wäre damit kein Beweis erbracht. In jedem Falle aber stünde die Bescheinigung der DHL der Behauptung des Klägers, er habe die Rücksendung in die Paketbox eingelegt, effektiv entgegen; diese Behauptung war damit widerlegt.

Auch die Regelung nach § 355 Abs. 3 Satz 4 BGB, wonach bei Widerruf die Gefahr der Rücksendung der Unternehmer trage, kann zu keinem anderen Ergebnis führen. Weil die Rücksendung überhaupt noch nicht begonnen hatte! Die DHL hatte nichts vorgefunden, was sie hätte befördern können. Die Regel des § 355 Abs. 3 Satz 4 BGB deckt den Zeitraum der Rücksendung ab; der Verbraucherverkäufer soll für den Transporteur einstehen. Die Regel deckt keine Zeiträume vor Beginn oder mangels Beginnes der Rücksendung ab. Diese Verantwortung liegt in der Tat beim Käufer. Nachdem nun die DHL bestätigte, dass sie mit der Rücksendung überhaupt noch nicht begonnen hatte und mangels Rücksendegutes auch nicht beginnen konnte, konnte die Gefahrtragungsregel nicht greifen.

Die Einlieferungsbeleg ist maschinell erzeugt („noreply@dhl.de“), während die nachträgliche Bestätigung der DHL von einem realen Menschen, die später als Zeugin schriftlich aussagte, erteilt worden war. Bereits der Bestätigung der DHL, dass die Paketbox leer gewesen sei, dürfte ein höherer Beweiswert gegenüber dem Einlieferungsbeleg beizumessen sein. Man könnte sogar in der Bestätigung der DHL, dass die Box leer gewesen ist, eine Berichtigung der Aussage des „Einlieferungsbeleges“ sehen. So dass auch die Frage, wie der Einlieferungsbeleg entstanden ist, die möglicherweise auch nur mit strafrechtlichem Instrumentarium zu beantworten wäre, an dieser Stelle dahinstehen konnte. Da auch von keinen Einbruchsspuren an der Paketbox die Rede war, war es sehr wahrscheinlich, dass in diese Paketbox nichts eingelegt wurde. Die DHL jedenfalls hat die Box unversehrt und leer vorgefunden. Und das auch bestätigt.

Eine leere Box ist nun einmal eine leere Box

Für diese Leere in der Box kann der Betreiber der Box nicht verantwortlich gemacht werden; erst recht nicht der potentielle Empfänger der Rücksendung. Mangels eines Gutes, das untergehen könnte, greifen auch die Regeln über den Untergang von Gütern hier nicht ein.

Was mangels Existenz in dieser Box nicht untergehen kann, kann auch nicht zu Lasten einer Partei oder zugunsten der anderen untergehen. Kurz: Was von vornherein gar nicht da ist, das kann auch nicht untergehen.

Den Einlieferungsbelg kann man problemlos selbst an der Packstation erzeugen, unabhängig davon, ob man ein Paket eingelegt hat.

Der Ablauf ist der Folgende:

  • DHL Label erstellen
  • an der Packstation Barcode einscannen
  • es öffnet sich ein Paketfach und man wird aufgefordert, ein Paket dort einzulegen
  • Paket einlegen oder auch nicht (letzteres könnte eine Strafbarkeit nach sich ziehen)
  • Am Display wird abgefragt, ob ein Paket eingelegt wurde und man muss dies auf dem Display bestätigen. Dies geht auch ohne Einlegen eines Paketes, da es keine Waage oder elektronische Überwachung des Faches (z.B. Kamera) gibt (Disclaimer wie eben!).
  • Danach erhält man eine Einlieferungsbestätigung

So lautete dann auch die schriftliche Zeugenaussage der DHL:

„Ob der Kunde die Sendung tatsächlich eingelegt hat, kann erst durch unseren Mitarbeiter bei Entleerung der Packstation erfolgen. Dieser hat im konkreten Fall, wie bereits dargelegt, gescannt, dass sich in dem Packstationsfach, in welchem die Sendung eingelegt worden sein soll, keine Sendung befunden hat.“.

Das beweist nicht, dass ein Paket eingelegt wurde. Vielmehr dürfte es nach dieser Zeugenaussage erwiesen sein, dass der Kläger kein Paket in die Packstation eingelegt hat. Damit wäre sogar der Gegenbeweis erfolgreich geführt.

Demgegenüber vermochte die schriftliche Zeugenaussage der Mutter des Klägers nicht zu überzeugen. An der Glaubwürdigkeit waren Abstriche zu machen, denn sie ist die Mutter des Klägers und dürfte nach allgemeiner Lebenserfahrung die Tendenz haben, das Vorbringen ihres Sohnes zu unterstützen. Zudem war die Aussage formelhaft („anwesend war oder festgestellt hat“). Das Formular war semiprofessionell vorgefertigt und lediglich unterschrieben. Die Aussage war hinsichtlich des angeblichen Einlegens des Paketes nicht detailhaft und inhaltsreich, sondern punktuell und nichtssagend. Die Aussage ging im Grunde genommen inhaltlich nicht über den Parteivortrag hinaus; ihr Beweiswert war daher von vorn herein eingeschränkt bis nicht vorhanden. Es war auch kein Datum angegeben, wann die Zeugin die angeblichen Wahrnehmungen gehabt haben wollte; weiterführende Anhaltspunkte oder Umstände, die dem Gericht eine Einordnung und unabhängige Beweiswürdigung überhaupt erst ermöglichen hätten können, fehlen. Im Übrigen gab es für eine schriftliche Zeugeneinvernahme dieser Zeugin keine gerichtliche Anordnung. Damit fehlte die Rechtsgrundlage für diese „Zeugeneinvernahme“; sie wirkte auch etwas „vorgeschoben“ und konstruiert; mithin unglaubhaft.

Es bestehen unserer Ansicht nach sogar Anhaltspunkte für eine in Betracht kommende Strafbarkeit; insbesondere in Zusammenschau mit der – angeordneten – schriftlichen Zeugeneinvernahme der DHL, die eben ganz anders lautete!

Aus Sicht des Klägers standen hier bestenfalls Aussage gegen Aussage; auch damit wäre der ihm obliegende Beweis nicht erbracht.

Das Amtsgericht Pirna ist uns hier erfreulicherweise in allen Punkten gefolgt!

Und die Moral von der Geschicht‘

Die Sache war semiprofessionell aufgezogen und wir konnten uns des Eindrucks nicht erwehren, dass hier eine „Masche“ vorliegt. Das führt zu der Frage, wie viele Onlinehändler – in vielleicht vergleichbaren Fällen – auf so eine Geschichte hereinfallen würden: Widerruf, Kaufpreisrückforderung; aber eben eine leere Paketbox bei der Einlieferung der zurückzugebenden Kaufsache in eine Packstation der DHL (oder eines anderen Logistikers).

Es lohnt sich, die Dinge auch in so „kleinen“ Fällen kritisch zu hinterfragen und sorgfältig zu prüfen. Onlinehändler wissen, gutlaufende Produkte können schnell mal in Serie gehen.

Lesen Sie hier die Entscheidung im Original; ein kleines Fehlerchen – Wer findet es? – ist bereits zur Berichtigung beantragt:

Inzwischen gibt es einen nicen Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts Pirna vom 29. Februar 2024, dem zusätzlichen Tag, den es wohl aller vier Jahre einmal gibt. Auch im Berichtigungsverfahren konnte sich der Kläger mit seiner Rechtsansicht nicht durchsetzen. Das Vorhandensein eines 29. Februar – von Zeit zu Zeit – zeigt, wie schwer es uns doch fällt, einen nach menschlichen Maßstäben perfekten Kalender an die unendliche Perfektion des Universums anzupassen. Das ist wie, wenn in einem Urteil mal das kleine Wörtchen „nicht“ fehlen würde, was natürlich genau so selten vorkommt. Und falls doch, sofort berichtigt wird; auf Antrag natürlich. Also wieder einmal: Ein Lob des Lesens und ein Dank nach Pirna!

Schnäppchenjagd auf eBay

Das längste Verfahren, das ich bislang geführt habe, begann mit einem Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH-Antrag) des Klägers vom 20.03.2015 und endete mit der Zustellung der Berufungsentscheidung im Mai 2023; das Kostenfestsetzungsverfahren ist bis heute nicht abgeschlossen. Es umfasste drei Termine vor dem Amtsgericht Dresden und sagenhafte 6 Berufungsverhandlungen vor dem Landgericht Dresden; insgesamt also 9 Verhandlungstermine! Es gab eine Beweisaufnahme, die eine schriftliche Zeugeneinvernahme von eBay und ein Sachverständigengutachten der IHK umfasste. Gegenstand war die Tatsachenfrage, wie viele Transaktionsnummern für eine Transaktion auf eBay vergeben werden – unserer Ansicht nach genau eine pro Transaktion – und es brauchte nahezu 10 Jahre, um mit dieser Ansicht auch gerichtlich durchzudringen und schlussendlich zu obsiegen. Das Amtsgericht hatte dem Kläger in erster Instanz übrigens Recht gegeben; wir konnten das erst in der Berufungsinstanz korrigieren!

Der Prozess umfasste auch sonst alles, was man sich prozessual vorstellen kann, z.B. „feuerte“ der Kläger seinen Anwalt in einer der Verhandlungen auf dem Gang vor dem Saal. Genauer gesagt, der Kläger versuchte, seinen Anwalt zu feuern. Was nicht gelang, weil er ihn nicht mandatiert hatte, sondern er ihm per PKH beigeordnet war. In diesem Fall kann man seinen Anwalt nicht (so einfach) feuern!

Aber der Reihe nach: Ich vertrat den beklagten und schließlich obsiegenden Onlinehändler, dem ein Preisfehler unterlaufen war; auch als Einstellfehler bekannt. Auf Grund eines technischen Fehlers waren zwei Laptops versehentlich zu einem viel zu niedrigem Preis angeboten; in Wahrheit kosteten diese Geräte jeweils knapp 1.000 Euro, versehentlich eingestellt waren sie um je etwa 14 Euro. Der Händler bemerkte den Irrtum, focht unverzüglich und begründet an und erstattete die Kaufpreise. Was nicht bemerkt wurde, war, dass der Käufer die beiden Laptops einfach nochmals bezahlte und sich damit zwei weitere Vertragsbestätigungen „erzeugte“, die nicht angefochten wurden, weil es niemand weder ahnte noch bemerkte und aus denen der Käufer nun auf Erfüllung klagte. Zwei Laptops für insgesamt 28 Euro; das ist Schnäppchenjagd vom Feinsten! Und insofern ist es beruhigend, dass diese Jagd fast 10 Jahre dauert und auch danach nicht erfolgreich werden konnte.

Im Prozess wurden, neben der Behauptung, es hätten vier statt zwei Kaufverträge vorgelegen, auch die Anfechtungen der ersten beiden Verträge angegriffen. Eigentlich sind ja die Irrtumsregeln klar, wer sagt, was er nicht will, kann anfechten. Desgleichen der, dessen Erklärung technisch falsch übermittelt wurde, §§ 119 und 120 BGB. Auch dürfte die Anspruchserhebung wegen der großen Differenz zwischen Erklärtem und Gewollten rechtsmissbräuchlich sein, was wir auch eingewendet hatten. Letztlich ging aber bereits die geschehen Anfechtung als wirksam und erfolgreich durch.

Die Frage nach den Transaktionsnummern war nun insofern entscheidend, als das zweite Paar Kaufverträge dieselben Transaktionsnummern hatte wie das erste – angefochtene – Paar und so in Wirklichkeit gar keine vier, sondern nur zwei Kaufverträge vorgelegen haben, die auch wirksam angefochten wurden. eBay äußerte sich dann auch in seiner schriftlichen Zeugenaussage mit dem folgenschweren Satz:

„Es ist richtig, dass es pro Transaktion nur eine Transaktionsnummer gibt.“

Auch der gerichtliche Sachverständige, der das Vorhandensein zweier weiterer Angebote zwar nicht feststellen konnte, jedoch beschied, dass es durchaus möglich sei, einen auf eBay erworbenen Artikel mehrfach zu bezahlen, sagte in diese Richtung aus.

Das Berufungsgericht erkannte dann folgerichtig, dass gegen das Vorliegen zwei weiterer unangefochtener Kaufverträge der Umstand spricht, dass den angeblich neuen Kaufverträgen keine neuen Transaktionsnummern zugeordnet, die weiteren Bestätigungsmails einfach durch erneute Zahlung zu generieren gewesen waren und die ersten und einzigen beiden Kaufverträge auch wirksam angefochten worden sind. Schlussendlich konnte der Kläger damit kein Zustandekommen von zwei weiteren Kaufverträgen beweisen.

Allerdings hätte man diese – durch zweite Zahlungen generierten – zweiten Bestätigungsmails dahingehend würdigen können, dass sich damit die Beweislast umkehrt, wir also – nach Vertragsbestätigungen – das Nichtvorhandensein des Kaufvertrages zu beweisen hätten und nicht der Kläger ihr Vorhandensein, was ihm wie gesagt nicht gelang. Hier argumentierte ich, dass es sich bei den durch nochmalige Zahlungen erzeugten Bestätigungsmails um gesetzlich zwingende Pflichtmitteilungen handelt, nämlich um jeweils eine Eingangsbestätigung für die Bestellung (§ 312i Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BGB), und darin kein darüber hinausgehender Erklärungswille festzustellen sei, falls man einer trickreich erzeugten automatisch versendeten Mail überhaupt einen Erklärungswillen beimessen möchte. Dem ist das Berufungsgericht mit der Begründung gefolgt, dass sich rechtsgeschäftlich die Bestätigung (des Eingangs) der Bestellung als eine Wissens- und keine Willenserklärung darstellt und schon deshalb regelmäßig nicht als Annahmeerklärung anzusehen ist.

Der Kenner der Materie wird gegebenenfalls feststellen, dass man bei dieser Betrachtung möglicherweise § 12 eBay-AGB etwas vernachlässigen muss; obwohl die Vertragsschlusslogik nicht Gegenstand war, sondern es lediglich um die Beweislast ging. Insofern mag die eventuell leicht anklingende Ungereimtheit natürlich gern bewendet bleiben.

Man mag auch nicht darüber nachdenken müssen, warum bei oder besser gesagt nach einem – vielleicht bereits geschehenen – Vertragsschluss die eine auf dessen Entstehende gerichtete Erklärung, hier des Verbrauchers (Bestellung), noch einmal bestätigt werden muss. Es hat sich in der Praxis bewährt, dass es diese Bestelleingangsbestätigung gibt, die ja beim Kauf auf eBay eine Vertragsbestätigung ist. Und insofern argumentiert das Landgericht Dresden richtig, weil es nicht die Vertragsschlusslogik thematisiert, sondern die Beweislast. Denn es gibt kein über die gesetzlich Pflicht zur Versenden dieser Bestelleingangsbestätigung hinausgehendes „Warum“. Und deshalb darf sich auch die Beweislast auf Grund der gesetzlich zwingenden Versendung dieser nicht ändern. Wie das Landgericht Dresden präzise, und mit viel weniger Worten als ich, richtig erkannt hat.

Und es war damit auch das potentielle Argument, dass diese zweiten Bestätigungsmails etwa eine Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts darstellen könnten (§ 144 BGB) ebenfalls vom Tisch, obwohl man gedanklich gar nicht so weit zu gehen bräuchte, denn das zweite Paar „Kaufverträge“ blieb ja unangefochten; schon deshalb, weil es sie nicht gab.

Die Volta zur Vertragsbestätigung ist insofern veranlasst, als das Amtsgericht das Vorhandensein dieser Bestelleingangsbestätigungen für das zweite Paar Laptops als entscheidendes Argument dafür angesehen hatte, dass die zwei weiteren Verträge wirksam zustande gekommen seien. Und das ist auch möglicherweise gar nicht so unvertretbar (Stichwort § 12 eBay-AGB). Es gibt ja bei uns in der Rechtswissenschaft (anders als beim „großen Detektiv“) nicht richtig oder falsch, sondern nur vertretbar oder nicht vertretbar. Nicht vertretbar sind x hoch n Lösungen und vertretbar drei bis fünf, wie ich immer gern sage. Hier könnte man eventuell sagen, die stattgebende Lösung des Amtsgerichts sei genau so vertretbar wie die abweisende des Landgerichts als Berufungsgericht. Natürlich halte ich die Lösung des Berufungsgerichts für besser vertretbar! Sie ist auch nachvollziehbarer: Wenn man sich durch erneute Zahlung auf zwei angefochtene Kauverträge neue Vertragsbestätigungen (mit Verlaub) ergaunert, soll man daraus nicht auch noch mit Erfolg auf Erfüllung klagen können; bei krasser Divergenz zwischen versehentlich eingestellten Kaufpreis und wirklichem Wert. Die zweite Entscheidung, die des Berufungsgerichts, ist in jedem Falle gerechter. Weil die Anfechtung des ersten Paares Kaufverträge auf den Versuch, zwei weitere dieser Art zu erzeugen, wenigstens moralisch und eigentlich auch rechtlich durchschlagen muss. Deshalb liegt das Landgericht richtig.

Die Revision war nicht zugelassen; worüber ich ausgesprochen glücklich bin, damit es nicht noch einmal 10 Jahre dauert, bis wir unser Recht bekommen.

Die rezensierte Entscheidung sehen Sie hier:

Der BGH und die Wiedergeburt der Kaufpreisforderung bei Amazon

Rezension der Entscheidung BGH, Urteil v. 01.04.2020, Az. VIII ZR 18/19

Kunde stellt A-bis-z-Garantieantrag

Eine Käuferin kaufte über Amazon Marketplace einen Kaminofen, bezahlte diesen und stellte hinterher einen A-bis-z-Garantie-Antrag. Amazon belastete daraufhin den Betrag des Kaufpreises der Marketplace-Verkäuferin auf ihrem Amazon-Verkäufer-Konto.

Rechtliche Einordnung der A-bis-z-Garantie

Die Vorinstanz meinte, Amazon gestalte mit seiner A-bis-z-Garantie das materielle Kaufrecht:

„Demnach komme die von Amazon der Beklagten als Käuferin gewährte A-bis-z-Garantie zusätzlich zu den allgemeinen Bestimmungen des Kaufrechts zur Anwendung.“

Der Bundesgerichtshof sieht es – erfreulicherweise! – anders.

Und er bedient sich zur Begründung guten juristischen Instrumentariums: Gesetzesanwendung und Auslegung. Die Kaufpreisforderung ist durch Zahlung erloschen. So sagt es § 362 BGB. Aber danach feiert sie fröhliche Urständ: Käufer und Verkäufer würden die Kaufpreisforderung wiederaufleben lassen, wenn der Käufer den A-bis-z-Garantie-Antrag stellt. Wenn also der Kunde die A-bis-Z-Karte zieht, bekommt der Verkäufer seine Kaufpreisforderung zurück. Verständlicher gesagt: Wenn Amazon dem Kunden den Kaufpreis rein faktisch erstattet, bekommt der Verkäufer rein rechtlich seine Kaufpreisforderung an den Käufer zurück. Deutlicher: Er kann dann wieder Zahlung des Kaufpreises verlangen. Noch deutlicher: Die Abwicklung des Falles über die Amazon-A-bis-z-Garantie sagt gar nichts über die materielle Rechtslage aus. Amazon ist eben auf seinem Marketplace nicht der Verkäufer, sondern bestenfalls der Erfüllungsgehilfe desselben oder eben, etwas umgangssprachlicher ausgedrückt: der Lieferant. Das ist eine gute Nachricht! Eigentlich haben wir das schon immer gewusst. Aber jetzt können wir uns damit belastbar auf den Bundesgerichtshof berufen. Deshalb ist die Entscheidung begrüßenswert.

Stillschweigende Vereinbarung

Die Begründung des Bundesgerichtshofs ist interessant: Marketplace-Verkäufer und Kunde hätten das „stillschweigend vereinbart“. Wodurch? Durch die „einverständliche Vertragsabwicklung über Amazon“.

„Mit der einverständlichen Vertragsabwicklung über Amazon Marketplace vereinbaren die Kaufvertragsparteien jedoch zugleich stillschweigend, dass die Kaufpreisforderung wiederbegründet wird, wenn das Amazon-Konto des Verkäufers aufgrund eines erfolgreichen A-bis-z-Garantieantrags rückbelastet wird.“

Das ist wirklich bemerkenswert: Der Bundesgerichtshof bedient sich desselben Arguments, wie die Vorinstanz, der Amazon-Marketplace-Vereinbarung, der sich beide Seiten unterworfen haben. Nur der Bundesgerichtshof interpretiert sie anders, er würdigt sie juristisch anders. Nach Ansicht der Vorinstanz darf Amazon alles und steht mit seiner Entscheidung über den A-bis-z-Garantie-Antrag über dem Gesetz. Der Bundesgerichtshof pariert diesen frechen Affront gegen das Recht, nimmt dasselbe Tool, den Amazon-Marketplace-Vertrag zwischen Plattformhändler und Kunden, und sagt, auf Grund dessen haben beide Seiten, Amazon und der Verkäufer, „stillschweigend“ vereinbart, dass der Verkäufer seine Rechte zurückbekommt, wenn der Käufer die Garantie-Karte zieht. Das ist die hohe juristische Kunst. Und ganz großes Kino für uns, die Plattformhändler.

BGH, Urteil v. 01.04.2020, Az.: VIII ZR 18/19

BGH-Urteil nachlesen

Das Urteil ist kurz und sehr gut verständlich geschrieben. Eine Lektüre ist empfehlenswert! Link zum Urteil

Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel, Dresden

OLG Dresden: Es ist nicht erforderlich, dass der Marktplatzhändler einen Link zur OS-Plattform einbaut, der Marktplatzbetreiber muss das tun (anderer Ansicht: OLG Koblenz)

Rezension der Entscheidung OLG Dresden, 14 U 1462/16

Die Entscheidungsgründe des Sächsischen Oberlandesgerichts Dresden zur Verpflichtung des Marktplatzbetreibers, den Link zur OS-Plattform einzubauen und zur Entpflichtung des Marktplatzhändlers, dies auf dem Marktplatz selbst tun zu müssen, wir >>>berichteten darüber, sie liegen nun vor (OLG Dresden, Urteil vom 17.01.2017, Az. 14 U 1462/16, rechtskräftig).

Leitsatz des Oberlandesgerichts Dresden:

Ein Online-Betreiber, der Angebote auf einem Online-Marktplatz einstellt, ist nicht nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Verordnung (EU) Nr. 524/2013 (ODR-Verordnung) zusätzlich zum Online-Marktplatzbetreiber verpflichtet, auf dessen Webseite einen Link zur OS-Plattform bereitzustellen.

Leitsätze des Verfassers:

Die Website, auf der ein Marktplatz-Angebot veröffentlicht wird, ist nicht diejenige des Marktplatzhändlers.

Den Marktplatzbetreiber trifft eine eigenständige Pflicht, den Link zur OS-Plattform bereitzustellen.

Es ist nicht erforderlich, dass der Marktplatzhändler, der auf der Website eines Online-Marktplatzes Angebote einstellt, einen Link zur OS-Plattform einbaut.

Der Zweck der Verordnung – dass möglichst viele Verbraucher Kenntnis von dem Bestehen der OS-Plattform erlangen sollen – gebietet nicht die Hinzufügung so vieler Links als es Verkäufer auf Amazon gibt.

Es ist kontraproduktiv, wenn ein Online-Marktplatz nicht nur den Link des Marktplatzbetreibers enthält, sondern der Verbraucher mit einer Vielzahl weiterer gleichlautender Links der dort anbietenden Onlineshop-Betreiber überhäuft wird.

Deshalb sind auch die Informationspflichten aus § 36 Abs. 2 VSBG nicht durch den Unternehmer auf der Website eines Marktplatzbetreibers zu erbringen, sondern durch den Marktplatzbetreiber selbst.

In den Entscheidungsgründen heißt es dazu:

„a)     Art. 14 Abs. 1 S. 1, 2 ODR-Verordnung lautet: „In der Union niedergelassene Unternehmer, die Online-Kaufverträge oder Online-Dienstleistungsverträge eingehen, und in der Union niedergelassene Online-Marktplätze stellen auf ihren Websites einen Link zur OS-Plattform ein. Dieser Link muss für Verbraucher leicht zugänglich sein.“

Da Art. 14 Abs. 1 S. 1 ODR-Verordnung nicht nur zu einem Hinweis, sondern auch zur Bereitstellung eines Links verpflichtet, beurteilt sich ein Verstoß hiergegen nach § 3a UWG (Köhler/Bornekamm/Köhler, UWG, 35. Aufl. 2017 § 3a Rn. 1.325a). Bei dieser Verpflichtung handelt es sich um eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG, weil möglichst viele Verbraucher Kenntnis von dem Bestehen der OS-Plattform erlangen sollen und die Regelung damit deren Interesse als Marktteilnehmer dient (OLG München K&R 2016, 848).

„b) Der Verfügungsbeklagte hat jedoch durch das beanstandete Einstellen des Angebots auf dem Online-Marktplatz nicht gegen Art. 14 Abs. 1 S. 1 ODR-Verordnung verstoßen. Er war danach nicht verpflichtet, sein Angebot auf der Internet-Plattform Amazon-Marketplace mit einem Link zur OS-Plattform zu versehen.

(1)     Nach Art. 14 Abs. 1 S. 1 ODR-Verordnung haben die Online-Angebote einstellenden Unternehmer und die Online-Marktplätze den Link zur OS-Plattform auf „ihren Websites“ einzustellen. Das Possessivpronomen „ihren“ macht deutlich, dass ein Link zur OS-Plattform auf einer anderen Website als der eigenen nicht genügt, wenn der Unternehmer auf seiner Website den Abschluss von Online-Kaufverträgen oder Online-Dienstleistungsverträgen anbietet. Nicht erforderlich ist ein solcher Link allerdings durch den Online-Händler, der auf der Website eines Online-Marktplatzes Angebote einstellt.

Diese Website ist nicht diejenige des Online-Händlers, so dass der Wortlaut von art. 14 Abs. 1 S. 1 ODR-Verordnung nicht eingreift. Dies gilt nicht nur bei einem durch die Schreibweise nahegelegten Verständnis von „Website“ als Gesamtheit eines Internetauftritts oder mehrerer Webseiten. Auch die Webseite – verstanden als einzelnes (meist in HTML verfasstes) Dokument, das mit einem Browser unter Angabe eines URS (Uniform Resource Lucators) im Internet abgerufen werden kann –  ist bei einem Angebot auf einem Online-Marktplatz nicht dem Onlineshop-Betreiber oder Onlinehändler zuzuordnen. Die Internetadresse der beanstandeten Angebotsseite lautet nicht auf ihn, sondern auf den Marktplatz-Betreiber.

(2)     Diesen Marktplatz-Betreiber trifft vielmehr eine eigenständige Pflicht, einen Link zur OS-Plattform einzustellen. Wie Erwägungsgrund 30 der ODR-Verordnung ausführt, besteht hierfür ein Bedürfnis, weil ein wesentlicher Anteil der Online-Kaufverträge und Online-Dienstleistungsverträge über Online-Marktplätze abgewickelt wird, die Verbraucher und Unternehmer zusammenführen. Da solche Online-Plattformen es Unternehmern ermöglichen, den Verbrauchern ihre Waren und Dienstleistungen anzubieten, sollen sie „gleichermaßen“ zur Bereitstellung des Links verpflichtet sein. Gleichermaßen bedeutet jedoch nicht zugleich; vielmehr ist auf der Website des Online-Marktplatzes nicht auch zusätzlich durch jeden dort anbietenden Händler ein entsprechender Link einzustellen.

Der Verordnungsgeber hat den Bedarf eines solchen Links auf dem Online-Marktplatz gesehen und ist ihm dort nachgekommen. Dieser Bedarf hätte nicht bestanden, wenn auch (jeder) der Onlineshop-Betreiber auf dieser für ihn fremden Website des Online-Marktplatzes seinerseits zusätzlich einen Link zur OS-Plattform bereitzustellen hätte.

(3)     Dem Zweck, dass möglichst viele Verbraucher Kenntnis von dem Bestehen der OS-Plattform erlangen sollen, läuft dies nicht zuwider. Ein Kaufinteressent, der die Angebotsseite des Online-Marktplatzes aufsucht, erhält bereits durch den dafür vorgeschriebenen Link hiervon Kenntnis. Die Hinzufügung eines – oder bei einer Vielzahl von Verkäufern sogar mehrerer – Links auf dieser Seite ist zur Erreichung dieses Zwecks deshalb nicht erforderlich.

Es wäre im Gegenteil auch konterproduktiv, wenn ein Online-Marktplatz nicht nur den Link des Marktplatzbetreibers enthielte, sondern mit einer Vielzahl weiterer – gleichlautender – Links der dort anbietenden Onlineshop-Betreiber überhäuft würde.

Dem entspricht, dass auch nach Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2013/11EU über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (vom 21.5.2014, ABl. L 165 vom 18.06.2013, S. 63-79) Informationen durch den Unternehmer zu Streitbeilegungsverfahren vor einer AS-Stelle (nur) auf der Website des Unternehmers bzw. zusammen mit seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in klarer, verständlicher und leicht zugänglicher Weise gegeben werden müssen, nicht dagegen durch den Unternehmer auch auf der Website eines Marktplatz-Betreibers (vgl. auch § 36 Abs. 2 VSBG, das am 1.2.2017 in Kraft treten wird).

c) Auf die Frage, ob der Beklagte auf der eigenen Website seines Internet-Auftritts den Link zur OS-Plattform bereitstellen muss und dies getan hat, kommt es nach dem Klageantrag und -vortrag nicht (an). Ebenso dahinstehen kann demnach, ob der Online-Marktplatzbetreiber diesen Link bereitgestellt hat. Wäre dies nicht der Fall, hätte der Beklagte für dieses Unterlassen des Marktplatz-Betreibers mangels eigener Handlungspflicht nicht einzustehen.“

OLG Dresden, Urteil vom 17.01.2017, Az. 14 U 1462/16, rechtskräftig, zu LG Dresden, 14.09.2016, Az. 42 HK O 70/16 EV, rechtskräftig

Hieran ist nun einiges bemerkenswert.

Auseinandersetzung mit OLG München, 29 U 2498/16

Das OLG Dresden nimmt auf die Entscheidung des OLG München, Urteil v. 22.09.2016, Az. 29 U 2498/16, K&R 2016, 848 („Bereitstellung eines Links“) Bezug, die gegenüber der Dresdner Entscheidung oft als „abweichend“ bezeichnet wird, um klarzustellen, dass es sich vorliegend um eine Marktverhaltensregel im Sinne von § 3a UWG handelt. Das OLG Dresden entscheidet die Sache im Ergebnis aber dann anders, aus guten und logisch zwingenden Gründen.

Ob denn mit der Link-Pflicht überhaupt eine Marktverhaltensregel, die nur zu einem Wettbewerbsverstoß führen kann, gegeben ist, war deswegen in Frage zu stellen, weil allein das Sich nicht beteiligen an der „Möglichst-viele-sollen-Kenntnis-nehmen-Kampagne“ der EU (vgl. Erwägungsgrund 30), vielleicht noch kein Wettbewerbsverstoß hätte darstellen können. Das OLG Dresden schließt sich dem OLG München insoweit sogar an, als Art. 14 Abs. 1 ODR-Verordnung „nicht nur zu einem Hinweis, sondern auch zur Bereitstellung eines Links verpflichtet“. Obwohl für mein Verständnis aus „Bereitstellung eines Links“ nicht folgt, dass dieser „sprechend“ ist, weil auch der nur angegebene Link „bereitgestellt“ ist; aber das ist eine andere, vielleicht die nächste Diskussion.

Meiner Ansicht nach kann die Entscheidung OLG München nicht als „abweichend“ zur Dresdner angesehen werden, weil sich das OLG München mit der Frage, die jetzt beantwortet wurde, überhaupt nicht auseinandergesetzt hat.

Das OLG München hat überhaupt nicht gesehen, dass neben der Pflicht des Unternehmers, die sich auf die Webseiten des Unternehmers bezieht, auch der Online-Marktplatz selbst gleichermaßen verpflichtet ist, diesen Link auf seinem Online-Marktplatz einzubauen. Deshalb hat sich das OLG München mit dieser Frage auch nicht auseinandergesetzt. Deshalb kann auch keine Rede davon sein, das OLG München habe die vorliegende Rechtsfrage entschieden. Das OLG München hatte sich hingegen lediglich mit dem – zwischenzeitlich durch Zeitablauf erledigten – Befund auseinandergesetzt, ob der Link zur OS-Plattform sinnlos war, weil die nationalen Streitschlichtungsstellen noch nicht eingerichtet waren. Diese Rechtsfrage ist zeitlich überholt, weil diese Streitschlichtungsstellen nunmehr auch in Deutschland eingerichtet sind. Diese Entscheidung verhält sich nicht mit einem Wort zu den Rechtsfragen, die im vorliegenden Verfahren entscheidend waren. Gleiches ist zu der Entscheidung OLG Karlsruhe, 4 U 99/16, zu sagen. Auch das OLG Karlsruhe hat sich lediglich mit diesem Einwand auseinandergesetzt, ob es sich mit dem Umstand, dass die Streitbeilegung in Deutschland noch nicht möglich war, um eine erhebliche Einwendung gegen die Pflicht zur Verlinkung handelt. Auch das OLG Karlsruhe hat sich deshalb nicht mit den nun vom OLG Dresden entschiedenen Fragen auseinandergesetzt. Namentlich hat sich das OLG Karlsruhe nicht mit der Pflicht des Onlinemarktplatzbetreibers zur Anbringung dieses Links auf seiner Website befasst.

Übrigens, es ist die Frage, ob das OLG München wirklich einen „sprechenden“ bzw. „aktiven“ Link fordert. Die Entscheidung sagt lediglich: „nicht nur eine Verpflichtung zur Information der Verbraucher, sondern auch eine solche zur Bereitstellung eines Links umfasst und damit über die bloße Information der Verbraucher über die Internetadresse der OS-Plattform hinausgeht“ (OLG München a.a.O.). – „Bereitgestellt“ ist der Link auch, wenn er vollständig und richtig angegeben wird. Es kann dem Verbraucher zugemutet werden, den Link in seinen Browser zu kopieren. „Bereitstellung“ heißt nicht „Bereitmachung“. Ich denke, dass die Behauptung, dass der Link „sprechend“ sein muss, nur in die Entscheidung hineingelesen wird. Allerdings schreibt nun auch das LG Hamburg, dass der Link sprechend sein müsse. Freilich ohne nähere Begründung. Im Zweifel sollte man sich also lieber darum bemühen, dass der Link „spricht“. Um aber nochmals den Gesetzeswortlaut zu zitieren. Dort steht „zur Verfügung stellen“. Es darf also noch etwas an Rest-Verantwortlichkeit beim Verbraucher bleiben, über das er „verfügen“ kann. Und wenn es nur die Übernahme des Links in den Browser ist, wo der Link noch nicht „sprechend“ gestaltet werden kann. Ich denke, der situationsbedingt adäquat aufgeklärte Verbraucher (nicht: der uninformierte) kann auch mit einem Link etwas anfangen, der ihm ohne aktive Verlinkung zur Verfügung gestellt wird. Meiner Meinung nach heißt „zur Verfügung stellen“ nicht zwingend „sprechend“ oder „aktiv“, sondern „verfügbar“, „verwendbar“, „verwertbar“. Das ist auch der Link, der vollständig und richtig wiedergegeben wird. Die Aktivverlinkung ist eine zusätzliche Servicefunktion, die begrüßenswert ist, meiner Ansicht nach aber nicht gesetzlich verpflichtend.

Informationspflicht aus § 36 VSBG trifft nur den Marktplatz-Betreiber

In dem Zusammenhang mit der Link-Pflicht entschied das OLG Dresden auch, dass die neue Informationspflichte ab dem 1. Februar 2017 § 36 VSBG nicht durch den Unternehmer auch auf der Website eines Marktplatzbetreibers, sondern ausschließlich durch den Marktplatz-Betreiber zu erfüllen sind.

„Dem entspricht, dass auch nach Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2013/11EU über die alternative Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (vom 21.5.2014, ABl. L 165 vom 18.06.2013, S. 63-79) Informationen durch den Unternehmer zu Streitbeilegungsverfahren vor einer AS-Stelle (nur) auf der Website des Unternehmers bzw. zusammen mit seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in klarer, verständlicher und leicht zugänglicher Weise gegeben werden müssen, nicht dagegen durch den Unternehmer auch auf der Website eines Marktplatz-Betreibers (vgl. auch § 36 Abs. 2 VSBG, das am 1.2.2017 in Kraft treten wird).“

Die tragenden Gründe der Entscheidung

Die tragenden Entscheidungsgründe, auf denen das hier besprochene Urteil beruht, sind meiner Meinung nach logisch zwingend.

Die Website, auf der ein Marktplatz-Angebot veröffentlicht wird, ist nicht diejenige des Händlers, weil die Internetadresse nicht auf den Händler lautet, sondern auf den Marktplatzbetreiber. Diesen Fakt wird man nicht in Abrede stellen können.

Den Marktplatzbetreiber trifft eine eigenständige Pflicht, diesen Link bereitzustellen. Das folgt expressis verbis aus dem historischen Willen des Verordnungsgebers, wie ihn dieser selbst in Erwägungsgrund 30 seiner Verordnung dokumentiert hat.

Der Zweck der Verordnung – dass möglichst viele Verbraucher Kenntnis von dem Bestehen der OS-Plattform erlangen sollen – gebietet nicht die Hinzufügung so vieler Links als es Verkäufer auf Amazon gibt, weil es kontraproduktiv ist, wenn der Verbraucher mit einer Vielzahl weiterer gleichlautender Links Onlineshop-Betreibers überhäuft wird. Deshalb, so das OLG Dresden, sind auch die Informationspflichten aus § 36 Abs. 2 VSBG nicht durch den Unternehmer auf der Website eines Marktplatzbetreibers zu erbringen, sondern durch den Marktplatzbetreiber selbst.

Zur Handlungspflicht des Marktplatz-Betreibers

Eine besondere Aussage macht das OLG Dresden im Zusammenhang mit der Frage, ob denn der Marktplatzhändler dafür einzustehen hat, wenn der Marktplatzbetreiber den Link nicht anbringt. Die Antwort ist ein klares Nein, weil der Marktplatzhändler für dieses Unterlassen des Marktplatz-Betreibers „mangels eigener Handlungspflicht“ nicht einzustehen hat.

Und das ist nun eine wirklich guttuende Aussage. Denn sie räumt mit der vor allen bei Instanzgerichten so beliebten und jetzt anscheinend bis vor den Bundesgerichtshof kolportierten „Jeder haftet für Jeden/Alles“-Theorie („Sippenhaft auf Amazon“) auf. Und zwar mit dem dogmatisch richtigen Ansatz. Der Frage nach der Handlungspflicht nämlich. Die Handlungspflicht des Marktplatz-Betreibers, den Link einzubinden, kann also nicht mit der neueren BGH-Rechtsprechung auf den Händler abgewälzt werden, weil der Marktplatzhändler insofern überhaupt keine eigene Handlungspflicht hat.

OLG Dresden vs. OLG Koblenz

Das alles wäre allein schon bahnbrechend und spektakulär. Noch interessanter und sicher auch brisanter wird die Thematik dadurch, dass das OLG Koblenz nur acht Tage nach dem OLG Dresden dieselbe Rechtsfrage genau anders herum entschieden hat (Beschluss v.  25.01.2017, Az. 9 W 426/16). Das OLG Koblenz vertritt die Auffassung, man müsse „ihre Website“ so weit auslegen, dass auch der Marktplatzhändler davon erfasst werde. Ich finde, das geht zu weit. Auslegung findet ihre Grenzen z.B. wenn der erklärte Wille des Normgebers, so wie hier, ein anderer ist. Außerdem besteht meiner Ansicht nach überhaupt kein Anlass für eine Auslegung. Die Rechtsnorm ist nicht auslegungsbedürftig, weil ihr Wortlaut klar und eindeutig ist. Die Entscheidung des OLG Dresden ist zwar rechtskräftig und letztinstanzlich, weil es gegen Berufungsurteile im Einstweiligen Verfügungsverfahren die Möglichkeit einer Revision zum Bundesgerichtshof nicht gibt. So eine Revision wäre unstatthaft (§ 542 Abs. 2 ZPO). Eines aber ist die Entscheidung des OLG Dresden nicht, sie ist nicht abschließend: Auch wenn man die (anderslautenden) Entscheidungen der OLG München und Karlsruhe (s.o.) als überholt ansieht, auch, weil sich das OLG Dresden ganz offensichtlich zumindest mit der Entscheidung des OLG München auseinandergesetzt hat und die Sache im Ergebnis anders entscheiden musste, so gibt es die Entscheidung des OLG Koblenz, das die Sache nahezu zeitgleich anders sieht. Der juristische Kampf um die Wahrheit ist also eröffnet. Da wir den fliegenden Gerichtsstand haben, darf jeder vor das Gericht ziehen, das ihm voraussichtlich Recht geben wird. Ein Argument mehr, diesen fliegenden Gerichtsstand endlich abzuschaffen, damit wir Rechtsanwälte unsere Mandanten überhaupt sachgerecht beraten können. Jedes Landgericht kann sich nun heraussuchen, ob es dem OLG Dresden oder dem OLG Karlsruhe folgt. Natürlich würde ich empfehlen, dem OLG Dresden zu folgen, weil ich diese Entscheidung für fundierter und dogmatisch richtig begründet halte. Das OLG Dresden hat nicht nur den erklärten Willen des EU-Verordnungsgebers auf seiner Seite, nicht nur den klaren und eindeutigen Wortlaut der Vorschrift selbst, sondern auch den gesunden Menschenverstand. Wonach es nun wirklich keinen Sinn macht, den Verbraucher mit Hinweisen auf diesen Link zuzuspamen. Und: Die Entscheidung des OLG Koblenz ist „nur“ ein Beschluss; die des OLG Dresden hingegen ein Urteil nach mündlicher Verhandlung.  Neben dem OLG Dresden und dem OLG Koblenz gibt es noch 21 weitere Oberlandesgerichte in Deutschland. Selbst wenn man davon ausgehen würde, München und Karlsruhe hätten sich schon abschließend positioniert, bleiben noch 19 Oberlandesgerichte, die sich der Dresdner oder der Koblenzer Seite anschließen können. Irgendwann wird es vielleicht der Bundesgerichtshof entscheiden oder sogar der EuGH (Art. 267 AEUV).

Ich berate Sie gern im Einzelfall.

Herzlichst Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

Die besprochene Entscheidung können Sie hier nachlesen: OLG Dresden, Az. 14 U 1462/16

Neue Informationspflichten ab dem 1. Februar 2017 (Verbraucherstreitbeilegung)

Ab 1. Februar 2017 gibt es zwei neue Informationspflichten.


Kurzfassung in zwei Sätzen

Was soll ich tun? – Einen kurzen Text (siehe unten) am Ende meiner AGB einfügen für eBay, Amazon und meinen Webshop. Denselben Text in meine letzte E-Mail an den Verbraucher kopieren, mit dem ich gestritten habe.


1.) Eine neue Informationspflicht zur Verbraucherschlichtung für die AGB

Die erste Informationspflicht resultiert aus § 36 VSBG.

Diese Pflicht trifft Sie nicht, wenn Sie am 31.12. des vorangegangenen Jahres zehn oder weniger Personen beschäftigt hattet. Es zählen Köpfe, das heißt, auch Aushilfen und Teilzeitler. Im Zweifel stellen Sie die Information lieber ein.

Weitere Voraussetzung ist, dass Sie verpflichtet (sicher die wenigsten) oder bereit seid, an der nationalen Variante der Verbraucherschlichtung teilzunehmen. Angesichts des Links zur OS-Plattform, also der europäischen Streitschlichtung, macht es aus unserer Sicht wenig Sinn, sich der nationalen Verbraucherschlichtung zu verschließen. Wir denken, dass es auch aus Gründen der Abmahnprävention sinnvoll ist, diese Information einzubauen.

Und so könnte diese Information lauten:


Informationen zur Verbraucherstreitbeilegung:

Wir sind dazu bereit, an Streitbeilegungsverfahren vor einer Verbraucherschlichtungsstelle teilzunehmen.

Angaben zu Anschrift und Webseite der Verbraucherschlichtungsstelle:

Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle

des Zentrums für Schlichtung e.V.

Straßburger Str. 8

77694 Kehl

www.verbraucher-schlichter.de

Wir erklären, an einem Streitbeilegungsverfahren vor dieser Verbraucherschlichtungsstelle teilzunehmen.


Die Information könnte am Ende der AGB eingefügt werden.

2.) Eine Information per E-Mail an den Verbraucher am Ende einer Auseinandersetzung

Die zweite Informationspflicht ergibt sich aus § 37 VSBG und sie ist unabhängig von der Anzahl Ihrer Beschäftigten.

Wenn Sie einen Reklamationsstreit mit dem Verbraucher ausgestritten haben, müssen Sie dem Verbraucher sozusagen als letzten Akt den Hinweis auf die Verbraucherschlichtungsstelle übermitteln, in Ihrer letzten E-Mail an den Kunden sozusagen als Schlusswort, bevor er klagt oder eben zur Schlichtungsstelle geht. Wir würden für diesen E-Mail Textbaustein dieselbe Formulierung wie oben in Betracht ziehen.

3.) Verhältnis zum Link zur OS-Plattform

Ganz unabhängig davon ist die Pflicht, den Link zur OS-Plattform zu setzen.

Diese Pflicht trifft Sie für Ihre Webshops.

Bei den Plattformen trifft sie der Plattformbetreiber, was bislang vom OLG Dresden entschieden wurde.

Diese Entscheidung ist letztinstanzlich und rechtskräftig (Mehr Informationen dazu). Bis zu einer gleichlautenden Entscheidung durch mehrere Oberlandesgerichte oder den Bundesgerichtshof, besteht unter Geltung des fliegenden Gerichtsstandes aber immer noch die Gefahr, dass Sie zu dieser Thematik vor ein Gericht gezogen werden, dass es anders sieht, zumal es zwei anders lautende OLG-Entscheidungen gibt (München, Karlsruhe). Diese zwei Entscheidungen beschäftigen sich zwar unserer, durch das OLG Dresden für Amazon bestätigten Rechtsansicht nach nicht wirklich mit der relevanten Rechtsfrage, könnten aber als „abweichende Entscheidungen“ angesehen werden. Kurzum: Entweder Sie sind mutig und halten es mit dem OLG Dresden und lassen auf Plattformen (Amazon, eBay) den Betreiber den Link zur OS-Plattform einbauen muss oder Sie bauen diesen Link aus Gründen der Abmahnprävention selbst ein.

Amazon sieht jetzt diese Möglichkeit vor (Seller Central/Einstellungen/Ihre Richtlinien und Informationen/Impressum & Info zum Verkäufer – Dort dann das Häkchen in das Kästchen „Die Europäische Kommission bietet eine Onlineplattform für Streitbeilegung an, die Sie hier finden: https://ec.europa.eu/consumers/odr/“ setzten!). Bei eBay unter „Einstellungen für gewerbliche Verkäufer“ bei „zusätzlich, gesetzlich geforderte Angaben“ ist es sogar möglich, dass ein dort eingestellte Link „sprechend“ ist, wenn er in html geschrieben ist. Das OLG München verlangt sogar, dass der Link sprechend ist (OLG München, Urteil v. 22.09.2016, Az. 29 U 2498/16).

Eine Verbindung gibt es natürlich zwischen der OS-Plattform und der nationalen Streitschlichtungsstelle. Die nationale Streitschlichtungsstelle ist zugleich auch eine solche im Sinne der OS-Plattform. Das ist letztlich auch der Grund, warum wir die Teilnahme an dem nationalen Verfahren empfehlen. Denn wir können schlecht auf die OS-Plattform verweisen (müssen), uns aber dem nationalen Verfahren entziehen.

Leider ist es mal wieder komplizierter geworden zu Beginn des Jahres!

Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Implementierung der neuen Informationspflicht und wir wünschen uns allen, dass diese neuen Verfahren uns in der Praxis nicht mehr Arbeit bringen, sondern uns hoffentlich ein wenig entlasten.

Ich berate Sie dazu gern!

Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel 

 

Jetzt rechtskräftig: Der Onlinemarktplatz ist verpflichtet, den Link zur OS-Plattform zu setzen, nicht aber der Marktplatzhändler

Update v. 08.02.2017:

Die schriftlichen Entscheidungsgründe liegen nun vor. Eine ausführliche Besprechung gibt es hier:

https://onlinehandelsrecht.com/2017/02/07/olg-dresden-es-ist-nicht-erforderlich-dass-der-marktplatzhaendler-einen-link-zur-os-plattform-einbaut-der-marktplatzbetreiber-muss-das-tun-anderer-ansicht-olg-koblenz/

Update v. 17.01.2017:

Das Sächsische Oberlandesgericht Dresden hat am 17.01.2017 das Urteil des Landgerichts Dresden in diesem Punkt – siehe dazu den nachfolgenden Artikel – bestätigt (OLG Dresden, Urteil vom 17.01.2017, Az. 14 U 1462/16). Das Urteil ist rechtskräftig.

Der 14. Senat machte in der mündlichen Begründung seines am 17.01.2017 verkündeten Urteils deutlich, dass es auch überhaupt keinen Sinn machen würde, die Verlinkung vom Marktplatzhändler zu verlangen, weil doch schon der Marktplatz selbst zur Verlinkung verpflichtet ist, wie sich aus dem klaren und eindeutigen Wortlaut der Verordnung ergibt. Das OLG ist uns in allen von uns vorgetragenen Punkten gefolgt.

Mehr dazu auch hier: http://www.bvoh.de/link-zu-online-streitschlichtungsplattform-ist-fuer-marktplatzbetreiber-wie-amazon-pflicht-bvoh-rechtsanwalt-erkaempft-bahnbrechendes-urteil/


Der Online-Marktplatz (hier: Amazon) ist nach Art. 14 Abs. 1 EU-VO Nr. 524/2013 verpflichtet, den Link zur OS-Plattform zu setzen, nicht aber der Marktplatzhändler. Das hat die 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dresden in einem Endurteil auf Widerspruch gegen eine Einstweilige Verfügung eines abmahnenden Verbandes entschieden (Urteil v. 16.09.2016, Az. 42 HK O 70/16 EV, rechtskräftig).

In der Urteilsbegründung hierzu heißt es:

„Nach Art. 14 Abs. 1 1. Alt. EU-VO Nr. 523/2013 (redaktionelle Anmerkung: Gemeint ist Nr. 524/2013) ist der in der Union niedergelassene Unternehmer verpflichtet, auf seiner website einen Link zur OS-Plattform zu setzen. Der Verfügungsbeklagte ist nach der Legaldefinition des Art. 4 Abs. 1 lit b EU-VO Nr. 523/2013 Unternehmer. Allerdings hat er seine Waren nicht über seine eigene „website“ angeboten, vielmehr über den „Online-Marktplatz“ www.amazon.de. Dieser „Online-Marktplatz“ ist wiederum nach Art. 14 Abs. 1 UE-VO Nr. 523/2013 verpflichtet, den Link zur OS-Plattform zu setzen, nicht aber der Verfügungsbeklagte (der Marktplatzhändler, redaktionelle Anmerkung)“.

Die Entscheidung ist absolut zu begrüßen! Diese Entscheidung ist bahnbrechend und sensationell. Denn erstmals sagt ein deutsches Gericht, dass Amazon selbst eine bestimmten Pflicht trifft und zwar auf Grund einer Verordnung der Europäischen Union.

Die entsprechende EU-Vorschrift, nämlich Artikel 14 Abs. 1 der Verordnung über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (EU-Verordnung Nr. 524/2013 vom 21. Mai 2013 über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten etc., Amtsblatt der Europäischen Union v. 18.06.2016, Seite L 165/1 ff., auch als „ODR-Verordnung“ bezeichnet), lautet wie folgt:

„In der Union niedergelassene Unternehmer, die Online-Kaufverträge oder Online-Dienstleistungsverträge eingehen, und in der Union niedergelassene Online-Marktplätze stellen auf ihren Websites einen Link zur OS-Plattform ein. Dieser Link muss für Verbraucher leicht zugänglich sein. In der Union niedergelassene Unternehmer, die Online-Kaufverträge oder Online-Dienstleistungsverträge eingehen, geben zudem ihre E-Mail-Adressen an.“

Diese Norm verpflichtet Unternehmer und Online-Marktplätze. Und es ist jeweils von „ihren Websites“ die Rede, nämlich von den Webseiten, auf denen die Betreiber von Online-Marktplätzen solche Online-Marktplätze betrieben, z.B. unter www.amazon.de, und von den Websites der Unternehmer. Damit ist gemeint, dass Unternehmer in ihren Onlineshops, denn das sind „ihre Websites“, diesen Link anbringen müssen. Damit ist ferner gemeint, dass Online-Markplätze auf den Websites dieser Online-Marktplätze, denn das sind „ihre Websites“, diesen Link anbringen müssen, etwa der Online-Marktplatz Amazon. Unternehmer, die auf Online-Marktplätzen anbieten, sind nicht dazu verpflichtet, diesen Link in einem Angebot zu veröffentlichen, das über eine Online-Marktplatz bereitgehalten wird. Das folgt schon daraus, dass diese Online-Marktplätze von der Verordnung direkt in die Pflicht genommen werden, wie eben gezeigt. Das folgt auch aus dem Sinn und Zweck der Norm. Die EU nimmt hier, aus unserer Sicht erstmalig, einen Marktplatz selbst in die Pflicht. Das geschieht wegen seiner faktischen Marktmacht, wie sie z.B. bei Amazon beobachtet werden kann, der nun diese Pflicht zugeordnet wird, auf die OS-Plattform zu verlinken, damit auch der Markplatz an sich für den Verbraucher interessant und vor allem sicher ist und dienstleistungsorientiert durch den Link zu dieser EU-Plattform. Die direkte Inpflichtnahme des Markplatzes hat aber auch einen anderen Grund. Der Markplatz selbst nämlich ist der einzige, der einen solchen Link sachgerecht einbinden kann, weil nur der Marktplatz selbst die Möglichkeit hat, seine Webseite entsprechend zu programmieren. Deshalb stellt die Verordnung auch auf diese faktische technische Möglichkeit ab („ihre Websites“). Der gewerbliche Verkäufer auf Amazon hat keine Möglichkeit, einen solchen Link „für Verbraucher leicht zugänglich“ in das Layout von Amazon einzubinden. Nur Amazon hat diese Möglichkeit und wird deshalb auch (als Marktplatz) von der Verordnung in die Pflicht genommen. Der Marktplatzhändler hat keine technische Möglichkeit, diesen Link bei Amazon „für Verbraucher leicht zugänglich“ einzubinden und er ist dazu auch nicht verpflichtet, weil Amazon nicht auf einer Website des Marktplatzhändlers läuft, sondern unter www.amazon.de und Amazon als Betreiber dieser Website und als Betreiber dieses Marktplatzes von der Verordnung sogar ausdrücklich wegen seiner Eigenschaft als Marktplatzbetreiber in die Pflicht genommen ist.

In der o.g. EU-Verordnung Nr. 524/2013 über Online-Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten heißt es dazu unter Ziffer 30 der Erwägungen:

Damit möglichst viele Verbraucher Kenntnis von dem Bestehen der OS-Plattform haben, sollten in der Union niedergelassene Unternehmer, die Online-Kaufverträge oder Online-Dienstleistungsverträge eingehen, auf ihren Websites einen Link zur OS-Plattform bereitstellen. Unternehmer sollten ferner ihre E-Mail-Adresse angeben, damit die Verbraucher über eine erste Anlaufstelle verfügen. Ein wesentlicher Anteil der Online-Kaufverträge und Online-Dienstleistungsverträge wird über Online-Marktplätze abgewickelt, die Verbraucher und Unternehmer zusammenführen oder Online-Rechtsgeschäfte zwischen Verbrauchern und Unternehmern erleichtern. Online-Marktplätze sind Online-Plattformen, die es Unternehmern ermöglichen, den Verbrauchern ihre Waren und Dienstleistungen anzubieten. Diese Online-Marktplätze sollten daher gleichermaßen verpflichtet sein, einen Link zur OS- Plattform bereitzustellen.“ (Hervorhebung der Redaktion)

Mit „gleichermaßen“ bringt der Verordnungsgeber zum Ausdruck, dass den Marktplatz eine eigenständige Verpflichtung trifft, diesen Link anzubringen. Hinsichtlich der Unternehmer ist von „ihren Websites“ die Rede, also von den Websites der Unternehmer. Daraus folgt, dass der Unternehmer nicht verpflichtet ist, auf dem Marktplatz diesen Link anzubringen, denn der Markplatz ist nicht „seine“ Website und, vor allem, der Marktplatzbetreiber ist selbst ausdrücklich in die Pflicht genommen. Es kann nicht zu Lasten des Unternehmers gehen, wenn der Marktplatzbetreiber diesen Link nicht anbringt. Eine „Auffanghaftung“ des auf dem Marktplatz anbietenden Unternehmers ist nicht vorgesehen, zumal der Marktplatz nicht „seine“, die des Unternehmers Website ist und er auch diese ganzen technischen Möglichkeiten, die nur der Marktplatzbetreiber hat, nicht hat. Letztlich fehlt es auch an einer Verstoßnorm: Der Marktplatzhändler ist nicht der Marktplatzbetreiber. Die den Marktplatzbetreiber treffende Pflicht aus Art. 14 Abs. 1 der Verordnung verpflichtet den Marktplatzhändler nicht. Die den Unternehmer treffende Pflicht aus Art. 14 Abs. 1 trifft den Marktplatzhändler nicht, weil der Marktplatz nicht „seine“ Website im Sinne der Verordnung ist und der Marktplatz selbst in die Pflicht genommen ist. Der Onlinemarktplatz, hier Amazon, darf auch seine Pflicht, diesen Link einzubauen, nicht auf den gewerblichen Marktplatzhändler abwälzen, weil der Onlinemarktplatz selbst Normadressat ist. Auch insofern wäre eine Verpflichtung des Plattformhändlers an Stelle der Plattform das falsche Signal. Meiner Meinung nach ist diese Enscheidung auch 1:1 auf eBay zu übertragen, weil eBay ein Onlinemarktplatz wie Amazon ist.

Es sind noch genügend Abmahnungen gegen Marktplatzhändler wegen Fehlen des Links zur OS-Plattform im Umlauf. Wir haben schon immer die Rechtsansicht vertreten, dass der Marktplatz, nicht aber der Marktplatzhändler diesen Link anzubringen hat. Das Landgericht Dresden hat uns in dieser Frage Recht gegeben. Es gibt also nun ein Verteidigungspotenzial gegen solche Abmahnungen.

Natürlich ist das auch ein Sieg für alle Marktplatzhändler gegen Abmahner. Dies und einiges andere mehr werden wir gebührend feiern. In Berlin. Zum Tag des Onlinehandels 2016. Ich werde vor Ort sein und selbstverständlich auch über dieses Thema sehr gern mit Ihnen sprechen.

Hier gehts zum Urteil: LG Dresden 42 HK O 70_16 EV

Herzlichst Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

Keine Freunde: Facebook und der BGH

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat hat heute entschieden, dass die mithilfe der Funktion „Freunde finden“ des Internet-Dienstes „Facebook“ versendeten Einladungs-E-Mails an Personen, die nicht als „Facebook“-Mitglieder registriert sind, eine wettbewerbsrechtlich unzulässige belästigende Werbung darstellen. Der I. Zivilsenat hat weiter entschieden, dass „Facebook“ im Rahmen des im November 2010 zur Verfügung gestellten Registrierungsvorgangs für die Funktion „Freunde finden“ den Nutzer über Art und Umfang der Nutzung von ihm importierter Kontaktdaten irregeführt hat.

Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände in Deutschland. Die in Irland ansässige Beklagte betreibt in Europa die Internet-Plattform „Facebook“.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Gestaltung der von ihr bereit gestellten Funktion „Freunde finden“, mit der der Nutzer veranlasst wird, seine E-Mail-Adressdateien in den Datenbestand von „Facebook“ zu importieren, und wegen der Versendung von Einladungs-E-Mails an bisher nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen auf Unterlassung in Anspruch. Der Kläger sieht in dem Versand von Einladungs-E-Mails an nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen eine den Empfänger belästigende Werbung der Beklagten im Sinne von § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 3 UWG. Er macht ferner geltend, die Beklagte täusche die Nutzer im Rahmen ihres Registrierungsvorgangs in unzulässiger Weise darüber, in welchem Umfang vom Nutzer importierte E-Mail-Adressdateien von „Facebook“ genutzt würden.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Einladungs-E-Mails von „Facebook“ an Empfänger, die in den Erhalt der E-Mails nicht ausdrücklich eingewilligt haben, stellen eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG dar. Die Einladungs-E-Mails sind Werbung der Beklagten, auch wenn ihre Versendung durch den sich bei „Facebook“ registrierenden Nutzer ausgelöst wird, weil es sich um eine von der Beklagten zur Verfügung gestellte Funktion handelt, mit der Dritte auf das Angebot von „Facebook“ aufmerksam gemacht werden sollen. Die Einladungs-E-Mails werden vom Empfänger nicht als private Mitteilung des „Facebook“-Nutzers, sondern als Werbung der Beklagten verstanden.

Durch die Angaben, die die Beklagte im November 2010 bei der Registrierung für die Facebook-Funktion „Freunde finden“ gemacht hat, hat die Beklagte sich registrierende Nutzer entgegen § 5 UWG über Art und Umfang der Nutzung der E-Mail-Kontaktdaten getäuscht. Der im ersten Schritt des Registrierungsvorgangs eingeblendete Hinweis „Sind deine Freunde schon bei Facebook?“ klärt nicht darüber auf, dass die vom Nutzer importierten E-Mail-Kontaktdaten ausgewertet werden und eine Versendung der Einladungs-E-Mails auch an Personen erfolgt, die noch nicht bei „Facebook“ registriert sind. Die unter dem elektronischen Verweis „Dein Passwort wird von Facebook nicht gespeichert“ hinterlegten weitergehenden Informationen können die Irreführung nicht ausräumen, weil ihre Kenntnisnahme durch den Nutzer nicht sichergestellt ist.

BGH, Urteil vom 14. Januar 2016, Az. I ZR 65/14, Freunde finden

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 14.01.2016


Meine Meinung: Das nach außerhalb von FB verschickte Mails genau solche Spam sind, wie normale Mails, leuchtet ein. Das FB irreführend informiert, nun ja, das wird jetzt nachgebessert werden müssen. Natürlich unterfällt das in Deutschland verbreitete Angebot von FB auch deutschem Recht. Das sich der BGH jetzt so intensiv mit FB beschäftigt, hat auch eine leicht verunsichernde Komponente. Sie rührt wohl daher, dass das Internet immer noch als ein Bereich wahrgenommen wird, der etwas freier als das Offline-Leben ist. Aber natürlich muss sich auch dieser Bereich an die Regeln halten. Obwohl die Frage im Raum steht: Haben wir nichts besseres zu tun? Oder: Haben wir nichts Wichtigeres zu tun im Verbraucherschutz?

Herzlichst Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

BGH zum Schadensersatz wegen abgebrochener eBay-Auktion, Gewichtige Gründe ermöglichen Lösung vom Vertrag

Der Bundesgerichtshof hat heute eine Entscheidung dazu getroffen, unter welchen Voraussetzungen der Anbieter das Gebot eines Interessenten auf der Internetplattform eBay streichen darf, ohne sich diesem gegenüber schadenersatzpflichtig zu machen.

Nichtamtliche Leitsätze des Herausgebers:

  1. Gewichtige Gründe können ein außergesetzliches Recht des Verkäufers zur Lösung vom Vertrag geben
  2. Den in den eBay-AGB genannten Regelbeispielen stehen gewichtige Umstände gleich, soweit sie einem gesetzlichen Grund für die Lösung vom Vertrag (Anfechtung, Rücktritt) entsprechen
  3. Abbruchjagd auf Käuferseite allein gibt keinen Abruchgrund auf Verkäuferseite

Der Sachverhalt

Der Beklagte bot auf der Internetplattform eBay einen Jugendstil-Gussheizkörper zu einem Startpreis von 1 € an. In den zu dieser Zeit maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay heißt es auszugsweise:

„§ 9 Nr. 11: Anbieter, die ein verbindliches Angebot auf der eBay-Website einstellen, dürfen nur dann Gebote streichen und das Angebot zurückziehen, wenn sie gesetzlich dazu berechtigt sind. Weitere Informationen. […]“

Der Beklagte beendete drei Tage nach Beginn der Auktion diese unter Streichung aller Angebote vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger mit einem Gebot von – wie er vorgetragen hat – 112 € der Höchstbietende. Der Kläger behauptet, er hätte den Heizköper zum Verkehrswert von 4.000 € verkaufen können und verlangt mit seiner Klage diesen Betrag abzüglich der von ihm gebotenen 112 € (3.888 €).

Der Beklagte verweigerte die Übergabe des Heizkörpers an den Kläger und begründete dies ihm gegenüber mit der – bestrittenen – Behauptung, er habe die Auktion deswegen abbrechen müssen, weil der Heizkörper nach Auktionsbeginn zerstört worden sei. Später hat der Beklagte geltend gemacht, er habe inzwischen erfahren, dass der Kläger zusammen mit seinem Bruder in letzter Zeit 370 auf eBay abgegebene Kaufgebote zurückgenommen habe. In Anbetracht dieses Verhaltens sei er zur Streichung des Gebots des Klägers berechtigt gewesen.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landgericht hat gemeint, dass wegen der zahlreichen Angebotsrücknahmen objektive Anhaltspunkte für eine „Unseriösität“ des Klägers bestünden. Der Beklagte habe deshalb das Angebot des Klägers streichen dürfen, so dass ein Vertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen sei. Es reiche aus, dass ein Grund für die Streichung des Angebots vorhanden gewesen sei; der Verkäufer müsse den Grund für die Streichung weder mitteilen noch müsse dieser überhaupt ursächlich für die Streichung geworden sein.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

1200px-BGH_-_Palais_2Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das Angebot eines eBay-Anbieters dahin auszulegen ist, dass es (auch) unter dem Vorbehalt steht, unter bestimmten Voraussetzungen ein einzelnes Gebot eines potentiellen Käufers zu streichen und so einen Vertragsschluss mit diesem Interessenten zu verhindern. Das kommt – neben den in den Auktionsbedingungen ausdrücklich genannten Beispielen – auch dann in Betracht, wenn gewichtige Umstände vorliegen, die einem gesetzlichen Grund für die Lösung vom Vertrag (etwa Anfechtung oder Rücktritt) entsprechen.

Derartige Gründe hat das Landgericht aber nicht festgestellt. Soweit es darauf abstellt, dass der Kläger und sein Bruder innerhalb von sechs Monaten 370 Kaufgebote zurückgenommen hätten, mag das ein Indiz dafür sein, dass nicht in allen Fällen ein berechtigter Grund für die Rücknahme bestand. Die Schlussfolgerung, dass es sich bei dem Kläger um einen unseriösen Käufer handelt, der seinen vertraglichen Pflichten – also vor allem seiner Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises im Fall einer erfolgreichen Ersteigerung – nicht nachkommen würde, ergibt sich daraus jedoch nicht, zumal der Verkäufer bei einer eBay Auktion bei der Lieferung des Kaufgegenstandes nicht vorleistungspflichtig ist, sondern regelmäßig entweder gegen Vorkasse oder Zug-um-Zug bei Abholung der Ware geliefert wird.

Anders als das Landgericht hat der Bundesgerichtshof ferner entschieden, dass ein Grund für das Streichen eines Angebots während der laufenden Auktion nicht nur vorliegen, sondern hierfür auch ursächlich geworden sein muss. Hieran fehlte es aber, weil nach dem Vortrag des Beklagten für die Streichung des Gebots nicht ein Verhalten des Klägers, sondern die (bestrittene) Zerstörung der Ware ausschlaggebend gewesen war. Bei der erneuten Verhandlung der Sache wird das Landgericht deshalb der Frage nachzugehen haben, ob der Heizkörper innerhalb der Auktionsfrist unverschuldet zerstört wurde und der Beklagte deshalb zur Streichung seines Angebots berechtigt war.

Das Urteil

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.09.2015, Az. VIII ZR 284/14

Die Vorinstanzen:

Landgericht Neuruppin – Urteil vom 24. September 2014 – 4 S 59/14

Amtsgericht Perleberg – Urteil vom 21. November 2013 -11 C 413/14


Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 23.09.2015

Foto: Palais des Erbgroßherzogs Friedrich II. von Baden, heute Sitz des Bundesgerichtshofs, Vorderseite zur Zentralen Parkanlage, Karlsruhe. By ComQuat (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons


Kommentar

Auf den ersten Blick ist die BGH-Entscheidung zu begrüßen. Die eBay-AGB können nicht ein „Mehr“ an Festhaltenmüssen am Vertrag generieren, als es das Gesetz tut. pacta sunt servanda, aber nicht über das Maß hinaus, als es das Gesetz fordert. Den eBay-AGB kommt nun einmal kein Gesetzesrang zu. Und so sind die von eBay genannten Gründe, nach denen der Verkäufer die Auktion abbrechen darf, nur „Regelbeispiele“. Wenn ähnlich schwere Gründe vorliegen, die dem Verkäufer auch nach dem Gesetz eine Loslösung vom Vertrag ermöglichen würden, wie es etwa Rücktritt und Anfechtung sind, dann darf sich der Verkäufer auch von seinem eBay-Angebot lösen. Allerdings nicht, wenn die dazu erforderlichen Gründe in Wahrheit überhaupt nicht vorliegen, weswegen der BGH den Fall zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückgegeben hat.

Wenn der Verkäufer dann keinen Schadensersatz zahlen muss, wenn ein gewichtiger Grund für seinen Abbruch vorliegt, dann stärkt es die Verkäuferrechte, weil der BGH den Kreis der wichtigen Gründe erweitert hat. Auch wenn das Problem bleibt, diese zu beweisen. Erschwerend kommt dazu, dass der BGH Abbruchjagd als gewichtigen Grund nicht anerkennt. Auf den zweiten Blick also muss man erkennen, dass das größte Problem des Verkäufers, sich von unseriösen Abbruchjägern (Jagd auf Schadensersatz) zu lösen, weitestgehend bestehen bleibt. Und das ist nicht so erfreulich.

Die Anforderungen auf Verkäuferseite bleiben also hoch. Das BGH-Urteil bietet bedauerlicherweise kein Patentrezept dafür, wie man sich als Verkäufer vor solchen Abbruchjägern schützen kann.

Mit nachdenklichen Grüßen

Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel