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BGH zum Schadensersatz wegen abgebrochener eBay-Auktion, Gewichtige Gründe ermöglichen Lösung vom Vertrag

Der Bundesgerichtshof hat heute eine Entscheidung dazu getroffen, unter welchen Voraussetzungen der Anbieter das Gebot eines Interessenten auf der Internetplattform eBay streichen darf, ohne sich diesem gegenüber schadenersatzpflichtig zu machen.

Nichtamtliche Leitsätze des Herausgebers:

  1. Gewichtige Gründe können ein außergesetzliches Recht des Verkäufers zur Lösung vom Vertrag geben
  2. Den in den eBay-AGB genannten Regelbeispielen stehen gewichtige Umstände gleich, soweit sie einem gesetzlichen Grund für die Lösung vom Vertrag (Anfechtung, Rücktritt) entsprechen
  3. Abbruchjagd auf Käuferseite allein gibt keinen Abruchgrund auf Verkäuferseite

Der Sachverhalt

Der Beklagte bot auf der Internetplattform eBay einen Jugendstil-Gussheizkörper zu einem Startpreis von 1 € an. In den zu dieser Zeit maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay heißt es auszugsweise:

„§ 9 Nr. 11: Anbieter, die ein verbindliches Angebot auf der eBay-Website einstellen, dürfen nur dann Gebote streichen und das Angebot zurückziehen, wenn sie gesetzlich dazu berechtigt sind. Weitere Informationen. […]“

Der Beklagte beendete drei Tage nach Beginn der Auktion diese unter Streichung aller Angebote vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger mit einem Gebot von – wie er vorgetragen hat – 112 € der Höchstbietende. Der Kläger behauptet, er hätte den Heizköper zum Verkehrswert von 4.000 € verkaufen können und verlangt mit seiner Klage diesen Betrag abzüglich der von ihm gebotenen 112 € (3.888 €).

Der Beklagte verweigerte die Übergabe des Heizkörpers an den Kläger und begründete dies ihm gegenüber mit der – bestrittenen – Behauptung, er habe die Auktion deswegen abbrechen müssen, weil der Heizkörper nach Auktionsbeginn zerstört worden sei. Später hat der Beklagte geltend gemacht, er habe inzwischen erfahren, dass der Kläger zusammen mit seinem Bruder in letzter Zeit 370 auf eBay abgegebene Kaufgebote zurückgenommen habe. In Anbetracht dieses Verhaltens sei er zur Streichung des Gebots des Klägers berechtigt gewesen.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landgericht hat gemeint, dass wegen der zahlreichen Angebotsrücknahmen objektive Anhaltspunkte für eine „Unseriösität“ des Klägers bestünden. Der Beklagte habe deshalb das Angebot des Klägers streichen dürfen, so dass ein Vertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen sei. Es reiche aus, dass ein Grund für die Streichung des Angebots vorhanden gewesen sei; der Verkäufer müsse den Grund für die Streichung weder mitteilen noch müsse dieser überhaupt ursächlich für die Streichung geworden sein.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

1200px-BGH_-_Palais_2Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das Angebot eines eBay-Anbieters dahin auszulegen ist, dass es (auch) unter dem Vorbehalt steht, unter bestimmten Voraussetzungen ein einzelnes Gebot eines potentiellen Käufers zu streichen und so einen Vertragsschluss mit diesem Interessenten zu verhindern. Das kommt – neben den in den Auktionsbedingungen ausdrücklich genannten Beispielen – auch dann in Betracht, wenn gewichtige Umstände vorliegen, die einem gesetzlichen Grund für die Lösung vom Vertrag (etwa Anfechtung oder Rücktritt) entsprechen.

Derartige Gründe hat das Landgericht aber nicht festgestellt. Soweit es darauf abstellt, dass der Kläger und sein Bruder innerhalb von sechs Monaten 370 Kaufgebote zurückgenommen hätten, mag das ein Indiz dafür sein, dass nicht in allen Fällen ein berechtigter Grund für die Rücknahme bestand. Die Schlussfolgerung, dass es sich bei dem Kläger um einen unseriösen Käufer handelt, der seinen vertraglichen Pflichten – also vor allem seiner Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises im Fall einer erfolgreichen Ersteigerung – nicht nachkommen würde, ergibt sich daraus jedoch nicht, zumal der Verkäufer bei einer eBay Auktion bei der Lieferung des Kaufgegenstandes nicht vorleistungspflichtig ist, sondern regelmäßig entweder gegen Vorkasse oder Zug-um-Zug bei Abholung der Ware geliefert wird.

Anders als das Landgericht hat der Bundesgerichtshof ferner entschieden, dass ein Grund für das Streichen eines Angebots während der laufenden Auktion nicht nur vorliegen, sondern hierfür auch ursächlich geworden sein muss. Hieran fehlte es aber, weil nach dem Vortrag des Beklagten für die Streichung des Gebots nicht ein Verhalten des Klägers, sondern die (bestrittene) Zerstörung der Ware ausschlaggebend gewesen war. Bei der erneuten Verhandlung der Sache wird das Landgericht deshalb der Frage nachzugehen haben, ob der Heizkörper innerhalb der Auktionsfrist unverschuldet zerstört wurde und der Beklagte deshalb zur Streichung seines Angebots berechtigt war.

Das Urteil

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.09.2015, Az. VIII ZR 284/14

Die Vorinstanzen:

Landgericht Neuruppin – Urteil vom 24. September 2014 – 4 S 59/14

Amtsgericht Perleberg – Urteil vom 21. November 2013 -11 C 413/14


Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 23.09.2015

Foto: Palais des Erbgroßherzogs Friedrich II. von Baden, heute Sitz des Bundesgerichtshofs, Vorderseite zur Zentralen Parkanlage, Karlsruhe. By ComQuat (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons


Kommentar

Auf den ersten Blick ist die BGH-Entscheidung zu begrüßen. Die eBay-AGB können nicht ein „Mehr“ an Festhaltenmüssen am Vertrag generieren, als es das Gesetz tut. pacta sunt servanda, aber nicht über das Maß hinaus, als es das Gesetz fordert. Den eBay-AGB kommt nun einmal kein Gesetzesrang zu. Und so sind die von eBay genannten Gründe, nach denen der Verkäufer die Auktion abbrechen darf, nur „Regelbeispiele“. Wenn ähnlich schwere Gründe vorliegen, die dem Verkäufer auch nach dem Gesetz eine Loslösung vom Vertrag ermöglichen würden, wie es etwa Rücktritt und Anfechtung sind, dann darf sich der Verkäufer auch von seinem eBay-Angebot lösen. Allerdings nicht, wenn die dazu erforderlichen Gründe in Wahrheit überhaupt nicht vorliegen, weswegen der BGH den Fall zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückgegeben hat.

Wenn der Verkäufer dann keinen Schadensersatz zahlen muss, wenn ein gewichtiger Grund für seinen Abbruch vorliegt, dann stärkt es die Verkäuferrechte, weil der BGH den Kreis der wichtigen Gründe erweitert hat. Auch wenn das Problem bleibt, diese zu beweisen. Erschwerend kommt dazu, dass der BGH Abbruchjagd als gewichtigen Grund nicht anerkennt. Auf den zweiten Blick also muss man erkennen, dass das größte Problem des Verkäufers, sich von unseriösen Abbruchjägern (Jagd auf Schadensersatz) zu lösen, weitestgehend bestehen bleibt. Und das ist nicht so erfreulich.

Die Anforderungen auf Verkäuferseite bleiben also hoch. Das BGH-Urteil bietet bedauerlicherweise kein Patentrezept dafür, wie man sich als Verkäufer vor solchen Abbruchjägern schützen kann.

Mit nachdenklichen Grüßen

Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

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Erklärungsirrtum, Rechtsmissbrauch

Die Annahme eines Kaufpreisangebots durch den Kunden kann sich als unzulässige Rechtsausübung (§ 242 BGB) darstellen, wenn erkennbar war oder erkennbar gewesen ist, dass der Käufer einem Kalkulationsirrtum unterlegen ist.

Amtsgericht Dresden, Urteil vom 28.09.2011, Az. 104 C 3276/11 (noch nicht rechtskräftig):

„Der Kläger ist indes wegen unzulässiger Rechtsausübung (gem.) § 242 BGB daran gehindert, von dem Beklagten Vertragserfüllung zu verlangen. Es ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass es eine unzulässige Rechtsausübung darstellen kann, wenn der Empfänger ein Vertragsangebot annimmt und auf die Durchführung des Vertrages besteht, obwohl er wusste oder sich treuwidrig der Kenntnisnahme entzogen hat, dass das Angebot auf einen Kalkulationsirrtum des Erklärenden beruht (vgl. BGH, Urteil vom 07.07.1998, Az. 10 ZP 17/97 m.w.N.). … Dem Gericht ist aus eigener Sachkunde bekannt, dass Multifunktionsgeräte, welche mit Lasertechnik arbeiten und den Funktionsumfang sowie die Qualifikation des gekauften …-Multifunktionsgerätes aufweisen, in einer Preisklasse von … gehandelt werden. Dies war auch für den Kläger erkennbar oder wäre für ihn erkennbar gewesen …“

Ein auf Grund technischen Versagens zu niedrig ausgepreister Artikel muss nicht für diesen Preis abgegeben werden. Zu dieser Lösung kann man über eine Anfechtung wegen Erklärungsirrtums (Amtsgericht Dresden, Urteil vom 12.08.2011, Az. 113 C 1249/11), aber auch – wie hier – über den Rechtsmissbrauchstatbestand des § 242 BGB gelangen.

Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

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Erklärungsirrtum, Anfechtung

Der Verkäufer kann den Kaufvertrag wegen Erklärungsirrtums (Angebotsirrtums) anfechten, wenn der angezeigte Preis auf Grund eines technischen Fehlers im Datenverarbeitungssystem versehentlich um ein Vielfaches zu niedrig angezeigt wurde. Darin liegt kein die Anfechtung ausschließender Kalkulationsirrtum oder Motivirrtum.

Amtsgericht Dresden, Urteil vom 12.08.2011, Az. 113 C 1249/11 (rechtskräftig):

„In dem durch das vom Beklagten genutzte Datenverarbeitungssystem wurde der von ihm gewollte Additionswert … als Faktor verarbeitet, wodurch eine unrichtige mathematische Operation ausgelöst wurde, die zu falschen Preisangaben auf den Internetseiten des Beklagten führte. Dabei irrte sich der Beklagte nicht über den tatsächlichen Wert des …, was zu einem unbeachtlichen Kalkulationsirrtum führen würde, sondern über den Programmablauf des von ihm genutzten Datenverarbeitungssystems, durch den die von ihm nicht gewollte Absenkung der Preise seiner Waren auf 1% generiert wurde. Dabei handelt es sich jedoch nicht um den von dem Kläger geltend gemachten Kalkulationsirrtum über einen schon im Stadium der Willensbildung unterlaufenen Irrtum im Beweggrund (Motivirrtum), der von keinem der gesetzlichen vorgesehenen Anfechtungsgründe erfasst wird.“

Eine andere Lösung nimmt das Amtsgericht Dresden im Urteil vom 28.09.2011 (Az. 104 C 3276/11; noch nicht rechtskräftig). Dort wird der Fall über den Rechtsmissbrauchstatbestand des § 242 BGB gelöst.

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