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Der BGH und die Wiedergeburt der Kaufpreisforderung bei Amazon

Rezension der Entscheidung BGH, Urteil v. 01.04.2020, Az. VIII ZR 18/19

Kunde stellt A-bis-z-Garantieantrag

Eine Käuferin kaufte über Amazon Marketplace einen Kaminofen, bezahlte diesen und stellte hinterher einen A-bis-z-Garantie-Antrag. Amazon belastete daraufhin den Betrag des Kaufpreises der Marketplace-Verkäuferin auf ihrem Amazon-Verkäufer-Konto.

Rechtliche Einordnung der A-bis-z-Garantie

Die Vorinstanz meinte, Amazon gestalte mit seiner A-bis-z-Garantie das materielle Kaufrecht:

„Demnach komme die von Amazon der Beklagten als Käuferin gewährte A-bis-z-Garantie zusätzlich zu den allgemeinen Bestimmungen des Kaufrechts zur Anwendung.“

Der Bundesgerichtshof sieht es – erfreulicherweise! – anders.

Und er bedient sich zur Begründung guten juristischen Instrumentariums: Gesetzesanwendung und Auslegung. Die Kaufpreisforderung ist durch Zahlung erloschen. So sagt es § 362 BGB. Aber danach feiert sie fröhliche Urständ: Käufer und Verkäufer würden die Kaufpreisforderung wiederaufleben lassen, wenn der Käufer den A-bis-z-Garantie-Antrag stellt. Wenn also der Kunde die A-bis-Z-Karte zieht, bekommt der Verkäufer seine Kaufpreisforderung zurück. Verständlicher gesagt: Wenn Amazon dem Kunden den Kaufpreis rein faktisch erstattet, bekommt der Verkäufer rein rechtlich seine Kaufpreisforderung an den Käufer zurück. Deutlicher: Er kann dann wieder Zahlung des Kaufpreises verlangen. Noch deutlicher: Die Abwicklung des Falles über die Amazon-A-bis-z-Garantie sagt gar nichts über die materielle Rechtslage aus. Amazon ist eben auf seinem Marketplace nicht der Verkäufer, sondern bestenfalls der Erfüllungsgehilfe desselben oder eben, etwas umgangssprachlicher ausgedrückt: der Lieferant. Das ist eine gute Nachricht! Eigentlich haben wir das schon immer gewusst. Aber jetzt können wir uns damit belastbar auf den Bundesgerichtshof berufen. Deshalb ist die Entscheidung begrüßenswert.

Stillschweigende Vereinbarung

Die Begründung des Bundesgerichtshofs ist interessant: Marketplace-Verkäufer und Kunde hätten das „stillschweigend vereinbart“. Wodurch? Durch die „einverständliche Vertragsabwicklung über Amazon“.

„Mit der einverständlichen Vertragsabwicklung über Amazon Marketplace vereinbaren die Kaufvertragsparteien jedoch zugleich stillschweigend, dass die Kaufpreisforderung wiederbegründet wird, wenn das Amazon-Konto des Verkäufers aufgrund eines erfolgreichen A-bis-z-Garantieantrags rückbelastet wird.“

Das ist wirklich bemerkenswert: Der Bundesgerichtshof bedient sich desselben Arguments, wie die Vorinstanz, der Amazon-Marketplace-Vereinbarung, der sich beide Seiten unterworfen haben. Nur der Bundesgerichtshof interpretiert sie anders, er würdigt sie juristisch anders. Nach Ansicht der Vorinstanz darf Amazon alles und steht mit seiner Entscheidung über den A-bis-z-Garantie-Antrag über dem Gesetz. Der Bundesgerichtshof pariert diesen frechen Affront gegen das Recht, nimmt dasselbe Tool, den Amazon-Marketplace-Vertrag zwischen Plattformhändler und Kunden, und sagt, auf Grund dessen haben beide Seiten, Amazon und der Verkäufer, „stillschweigend“ vereinbart, dass der Verkäufer seine Rechte zurückbekommt, wenn der Käufer die Garantie-Karte zieht. Das ist die hohe juristische Kunst. Und ganz großes Kino für uns, die Plattformhändler.

BGH, Urteil v. 01.04.2020, Az.: VIII ZR 18/19

BGH-Urteil nachlesen

Das Urteil ist kurz und sehr gut verständlich geschrieben. Eine Lektüre ist empfehlenswert! Link zum Urteil

Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel, Dresden

Agenda für den Tag des Onlinehandels am 31.08.2017 in Berlin

Und hier ist sie, die Agenda für den Tag des Onlinehandels!

Ich selbst werde drei Programmpunkte bestreiten:

  1. Ein 1×1 des Onlinehandelsrechts für LOKAGEHT.ONLINE um 11:30 Uhr im „Schwimmbad“
  2. Mein Expertentisch um 12:15 Uhr im „Kleinen Saal“
  3. Mein Vortrag „Aktuelle Rechtsprechung im Onlinehandel“ um 17:25 Uhr im „Meistersaal“

Mein Vortrag hat folgende – ganz aktuelle! – Themen:

  • Rechtsmissbrauch im Vertragsstrafverfahren (OLG Dresden, Beschluss v. 31. Juli 2017, Az. 14 W 629/17)
  • Matratzen-Fall des BGH (verhandelt am 23. August 2017, Az. VIII ZR 194/16)
  • „too much information is no information“ (OLG Dresden, Beschluss vom 11. August 2017, 14 U 732/17)

Nach dem Tag des Onlinehandels werde ich sicher zu dem einen oder anderen Thema auch hier im Blog noch etwas mehr schreiben.

Herzliche Einladung und herzlich willkommen zum Tag des Onlinehandels am 31. August 2017 in Berlin!

Sie können sich noch anmelden unter: www.tdoh17.de

Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

Keine Freunde: Facebook und der BGH

Der unter anderem für das Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat hat heute entschieden, dass die mithilfe der Funktion „Freunde finden“ des Internet-Dienstes „Facebook“ versendeten Einladungs-E-Mails an Personen, die nicht als „Facebook“-Mitglieder registriert sind, eine wettbewerbsrechtlich unzulässige belästigende Werbung darstellen. Der I. Zivilsenat hat weiter entschieden, dass „Facebook“ im Rahmen des im November 2010 zur Verfügung gestellten Registrierungsvorgangs für die Funktion „Freunde finden“ den Nutzer über Art und Umfang der Nutzung von ihm importierter Kontaktdaten irregeführt hat.

Der Kläger ist der Bundesverband der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände in Deutschland. Die in Irland ansässige Beklagte betreibt in Europa die Internet-Plattform „Facebook“.

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Gestaltung der von ihr bereit gestellten Funktion „Freunde finden“, mit der der Nutzer veranlasst wird, seine E-Mail-Adressdateien in den Datenbestand von „Facebook“ zu importieren, und wegen der Versendung von Einladungs-E-Mails an bisher nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen auf Unterlassung in Anspruch. Der Kläger sieht in dem Versand von Einladungs-E-Mails an nicht als Nutzer der Plattform registrierte Personen eine den Empfänger belästigende Werbung der Beklagten im Sinne von § 7 Abs. 1 und 2 Nr. 3 UWG. Er macht ferner geltend, die Beklagte täusche die Nutzer im Rahmen ihres Registrierungsvorgangs in unzulässiger Weise darüber, in welchem Umfang vom Nutzer importierte E-Mail-Adressdateien von „Facebook“ genutzt würden.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Der Bundesgerichtshof hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Einladungs-E-Mails von „Facebook“ an Empfänger, die in den Erhalt der E-Mails nicht ausdrücklich eingewilligt haben, stellen eine unzumutbare Belästigung im Sinne des § 7 Abs. 2 Nr. 3 UWG dar. Die Einladungs-E-Mails sind Werbung der Beklagten, auch wenn ihre Versendung durch den sich bei „Facebook“ registrierenden Nutzer ausgelöst wird, weil es sich um eine von der Beklagten zur Verfügung gestellte Funktion handelt, mit der Dritte auf das Angebot von „Facebook“ aufmerksam gemacht werden sollen. Die Einladungs-E-Mails werden vom Empfänger nicht als private Mitteilung des „Facebook“-Nutzers, sondern als Werbung der Beklagten verstanden.

Durch die Angaben, die die Beklagte im November 2010 bei der Registrierung für die Facebook-Funktion „Freunde finden“ gemacht hat, hat die Beklagte sich registrierende Nutzer entgegen § 5 UWG über Art und Umfang der Nutzung der E-Mail-Kontaktdaten getäuscht. Der im ersten Schritt des Registrierungsvorgangs eingeblendete Hinweis „Sind deine Freunde schon bei Facebook?“ klärt nicht darüber auf, dass die vom Nutzer importierten E-Mail-Kontaktdaten ausgewertet werden und eine Versendung der Einladungs-E-Mails auch an Personen erfolgt, die noch nicht bei „Facebook“ registriert sind. Die unter dem elektronischen Verweis „Dein Passwort wird von Facebook nicht gespeichert“ hinterlegten weitergehenden Informationen können die Irreführung nicht ausräumen, weil ihre Kenntnisnahme durch den Nutzer nicht sichergestellt ist.

BGH, Urteil vom 14. Januar 2016, Az. I ZR 65/14, Freunde finden

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 14.01.2016


Meine Meinung: Das nach außerhalb von FB verschickte Mails genau solche Spam sind, wie normale Mails, leuchtet ein. Das FB irreführend informiert, nun ja, das wird jetzt nachgebessert werden müssen. Natürlich unterfällt das in Deutschland verbreitete Angebot von FB auch deutschem Recht. Das sich der BGH jetzt so intensiv mit FB beschäftigt, hat auch eine leicht verunsichernde Komponente. Sie rührt wohl daher, dass das Internet immer noch als ein Bereich wahrgenommen wird, der etwas freier als das Offline-Leben ist. Aber natürlich muss sich auch dieser Bereich an die Regeln halten. Obwohl die Frage im Raum steht: Haben wir nichts besseres zu tun? Oder: Haben wir nichts Wichtigeres zu tun im Verbraucherschutz?

Herzlichst Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

BGH zum Schadensersatz wegen abgebrochener eBay-Auktion, Gewichtige Gründe ermöglichen Lösung vom Vertrag

Der Bundesgerichtshof hat heute eine Entscheidung dazu getroffen, unter welchen Voraussetzungen der Anbieter das Gebot eines Interessenten auf der Internetplattform eBay streichen darf, ohne sich diesem gegenüber schadenersatzpflichtig zu machen.

Nichtamtliche Leitsätze des Herausgebers:

  1. Gewichtige Gründe können ein außergesetzliches Recht des Verkäufers zur Lösung vom Vertrag geben
  2. Den in den eBay-AGB genannten Regelbeispielen stehen gewichtige Umstände gleich, soweit sie einem gesetzlichen Grund für die Lösung vom Vertrag (Anfechtung, Rücktritt) entsprechen
  3. Abbruchjagd auf Käuferseite allein gibt keinen Abruchgrund auf Verkäuferseite

Der Sachverhalt

Der Beklagte bot auf der Internetplattform eBay einen Jugendstil-Gussheizkörper zu einem Startpreis von 1 € an. In den zu dieser Zeit maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen von eBay heißt es auszugsweise:

„§ 9 Nr. 11: Anbieter, die ein verbindliches Angebot auf der eBay-Website einstellen, dürfen nur dann Gebote streichen und das Angebot zurückziehen, wenn sie gesetzlich dazu berechtigt sind. Weitere Informationen. […]“

Der Beklagte beendete drei Tage nach Beginn der Auktion diese unter Streichung aller Angebote vorzeitig. Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger mit einem Gebot von – wie er vorgetragen hat – 112 € der Höchstbietende. Der Kläger behauptet, er hätte den Heizköper zum Verkehrswert von 4.000 € verkaufen können und verlangt mit seiner Klage diesen Betrag abzüglich der von ihm gebotenen 112 € (3.888 €).

Der Beklagte verweigerte die Übergabe des Heizkörpers an den Kläger und begründete dies ihm gegenüber mit der – bestrittenen – Behauptung, er habe die Auktion deswegen abbrechen müssen, weil der Heizkörper nach Auktionsbeginn zerstört worden sei. Später hat der Beklagte geltend gemacht, er habe inzwischen erfahren, dass der Kläger zusammen mit seinem Bruder in letzter Zeit 370 auf eBay abgegebene Kaufgebote zurückgenommen habe. In Anbetracht dieses Verhaltens sei er zur Streichung des Gebots des Klägers berechtigt gewesen.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landgericht hat gemeint, dass wegen der zahlreichen Angebotsrücknahmen objektive Anhaltspunkte für eine „Unseriösität“ des Klägers bestünden. Der Beklagte habe deshalb das Angebot des Klägers streichen dürfen, so dass ein Vertrag zwischen den Parteien nicht zustande gekommen sei. Es reiche aus, dass ein Grund für die Streichung des Angebots vorhanden gewesen sei; der Verkäufer müsse den Grund für die Streichung weder mitteilen noch müsse dieser überhaupt ursächlich für die Streichung geworden sein.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

1200px-BGH_-_Palais_2Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass das Angebot eines eBay-Anbieters dahin auszulegen ist, dass es (auch) unter dem Vorbehalt steht, unter bestimmten Voraussetzungen ein einzelnes Gebot eines potentiellen Käufers zu streichen und so einen Vertragsschluss mit diesem Interessenten zu verhindern. Das kommt – neben den in den Auktionsbedingungen ausdrücklich genannten Beispielen – auch dann in Betracht, wenn gewichtige Umstände vorliegen, die einem gesetzlichen Grund für die Lösung vom Vertrag (etwa Anfechtung oder Rücktritt) entsprechen.

Derartige Gründe hat das Landgericht aber nicht festgestellt. Soweit es darauf abstellt, dass der Kläger und sein Bruder innerhalb von sechs Monaten 370 Kaufgebote zurückgenommen hätten, mag das ein Indiz dafür sein, dass nicht in allen Fällen ein berechtigter Grund für die Rücknahme bestand. Die Schlussfolgerung, dass es sich bei dem Kläger um einen unseriösen Käufer handelt, der seinen vertraglichen Pflichten – also vor allem seiner Verpflichtung zur Zahlung des Kaufpreises im Fall einer erfolgreichen Ersteigerung – nicht nachkommen würde, ergibt sich daraus jedoch nicht, zumal der Verkäufer bei einer eBay Auktion bei der Lieferung des Kaufgegenstandes nicht vorleistungspflichtig ist, sondern regelmäßig entweder gegen Vorkasse oder Zug-um-Zug bei Abholung der Ware geliefert wird.

Anders als das Landgericht hat der Bundesgerichtshof ferner entschieden, dass ein Grund für das Streichen eines Angebots während der laufenden Auktion nicht nur vorliegen, sondern hierfür auch ursächlich geworden sein muss. Hieran fehlte es aber, weil nach dem Vortrag des Beklagten für die Streichung des Gebots nicht ein Verhalten des Klägers, sondern die (bestrittene) Zerstörung der Ware ausschlaggebend gewesen war. Bei der erneuten Verhandlung der Sache wird das Landgericht deshalb der Frage nachzugehen haben, ob der Heizkörper innerhalb der Auktionsfrist unverschuldet zerstört wurde und der Beklagte deshalb zur Streichung seines Angebots berechtigt war.

Das Urteil

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.09.2015, Az. VIII ZR 284/14

Die Vorinstanzen:

Landgericht Neuruppin – Urteil vom 24. September 2014 – 4 S 59/14

Amtsgericht Perleberg – Urteil vom 21. November 2013 -11 C 413/14


Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 23.09.2015

Foto: Palais des Erbgroßherzogs Friedrich II. von Baden, heute Sitz des Bundesgerichtshofs, Vorderseite zur Zentralen Parkanlage, Karlsruhe. By ComQuat (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons


Kommentar

Auf den ersten Blick ist die BGH-Entscheidung zu begrüßen. Die eBay-AGB können nicht ein „Mehr“ an Festhaltenmüssen am Vertrag generieren, als es das Gesetz tut. pacta sunt servanda, aber nicht über das Maß hinaus, als es das Gesetz fordert. Den eBay-AGB kommt nun einmal kein Gesetzesrang zu. Und so sind die von eBay genannten Gründe, nach denen der Verkäufer die Auktion abbrechen darf, nur „Regelbeispiele“. Wenn ähnlich schwere Gründe vorliegen, die dem Verkäufer auch nach dem Gesetz eine Loslösung vom Vertrag ermöglichen würden, wie es etwa Rücktritt und Anfechtung sind, dann darf sich der Verkäufer auch von seinem eBay-Angebot lösen. Allerdings nicht, wenn die dazu erforderlichen Gründe in Wahrheit überhaupt nicht vorliegen, weswegen der BGH den Fall zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückgegeben hat.

Wenn der Verkäufer dann keinen Schadensersatz zahlen muss, wenn ein gewichtiger Grund für seinen Abbruch vorliegt, dann stärkt es die Verkäuferrechte, weil der BGH den Kreis der wichtigen Gründe erweitert hat. Auch wenn das Problem bleibt, diese zu beweisen. Erschwerend kommt dazu, dass der BGH Abbruchjagd als gewichtigen Grund nicht anerkennt. Auf den zweiten Blick also muss man erkennen, dass das größte Problem des Verkäufers, sich von unseriösen Abbruchjägern (Jagd auf Schadensersatz) zu lösen, weitestgehend bestehen bleibt. Und das ist nicht so erfreulich.

Die Anforderungen auf Verkäuferseite bleiben also hoch. Das BGH-Urteil bietet bedauerlicherweise kein Patentrezept dafür, wie man sich als Verkäufer vor solchen Abbruchjägern schützen kann.

Mit nachdenklichen Grüßen

Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

Banken sehen Rot: Sparkassen-Rot gegen Santander-Rot geht in die nächste Runde

Der unter anderem für das Markenrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass der Streit um die Verwendung der Farbe Rot durch die Bank Santander vor dem Oberlandesgericht neu verhandelt werden muss.

Der Sachverhalt

Der Kläger, der Deutsche Sparkassen- und Giroverband, ist der Dachverband der Sparkassen-Finanzgruppe, zu der die Sparkassen gehören, die in Deutschland 16.000 Geschäftsstellen betreiben und Bankdienstleistungen für Privatkunden erbringen. Die Sparkassen setzen seit Jahrzehnten in Deutschland die rote Farbe im Rahmen ihres Marktauftritts ein. Der Kläger ist seit 2002 Inhaber der als verkehrsdurchgesetztes Zeichen eingetragenen deutschen Farbmarke „Rot“ (HKS-Farbe 13), die für Bankdienstleistungen für Privatkunden eingetragen ist.

Die Beklagte zu 2 ist die Muttergesellschaft des international operierenden spanischen Finanzkonzerns Santander, der größten Finanzgruppe im Euroraum. Sie unterhält eine Zweigniederlassung in Frankfurt am Main und besitzt die Erlaubnis, in Deutschland Bankgeschäfte zu betreiben. Ihre Tochtergesellschaft, die Beklagte zu 1, unterhält in Deutschland etwa 200 Bankfilialen. Die Beklagte zu 2 verwendet seit Ende der 1980er Jahre in zahlreichen Ländern bei ihrem Marktauftritt einen roten Farbton. Die Beklagte zu 1 setzt seit dem Jahr 2004 ebenfalls die rote Farbe ein. Die Logos der Beklagten enthalten auf rechteckigem rotem Grund ein weißes Flammensymbol und daneben den in Weiß gehaltenen Schriftzug „Santander CONSUMER BANK“ oder „Santander“ (bei der Beklagten zu 1) oder „Grupo Santander“ (bei der Beklagten zu 2). Das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt wies im Jahr 2009 den Antrag der Beklagten zu 2 zurück, einen roten Farbton als Gemeinschaftsmarke mit Schutz für die Mitgliedstaaten der Europäischen Union in das Markenregister einzutragen.

Die Parteien streiten darum, ob die Beklagten durch die Verwendung der roten Farbe im Rahmen ihres Marktauftritts das Recht des Klägers an der konturlosen Farbmarke Rot in Deutschland verletzen.

Das Landgericht hat der gegen die Beklagte zu 1 gerichteten Klage überwiegend stattgegeben und die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Klage abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat durch Teilurteil das landgerichtliche Urteil bestätigt, soweit die Klage gegen die Beklagte zu 2 abgewiesen worden ist, und hat den Rechtsstreit gegen die Beklagte zu 1 vorläufig bis zur Entscheidung über den von den Beklagten beim Deutschen Patent- und Markenamt gestellten Antrag auf Löschung der Farbmarke Rot ausgesetzt. Das Bundespatentgericht hat mit Beschluss vom 8. Juli 2015 die Löschung der Farbmarke Rot des Klägers angeordnet. Die Entscheidung ist nicht rechtskräftig. Gegen den Beschluss des Bundespatentgerichts ist beim Senat das Rechtsbeschwerdeverfahren anhängig.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der Bundesgerichtshof hat das Berufungsurteil, mit dem die Vorinstanz die Klage gegen die Beklagte zu 2, die spanische Muttergesellschaft, abgewiesen hat, aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Er hat eine Aussetzung des vorliegenden Verletzungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag der Beklagten, die Farbmarke Rot des Klägers zu löschen, abgelehnt, weil der Ausgang des Löschungsverfahrens offen ist. Er hat angenommen, dass das Berufungsgericht über die Klage gegen die Beklagte zu 2 nicht isoliert entscheiden durfte, weil sich im weiteren Verfahren gegen beide Beklagten zum Teil dieselben Rechtsfragen stellen und der Rechtsstreit deshalb einheitlich gegenüber beiden Beklagten entschieden werden muss, um widersprüchliche Entscheidungen zu vermeiden.

Weiter hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass marken- und kennzeichenrechtliche Unterlassungsansprüche, insbesondere aus § 14 Abs. 2 Nr. 2 und 3 sowie Abs. 5 MarkenG, mit der vom Oberlandesgericht gegebenen Begründung nicht vollständig verneint werden können. Er hat die Annahme des Oberlandesgerichts nicht gebilligt, wegen der Zurückweisung des Antrags, den roten Farbton als Gemeinschaftsmarke einzutragen, drohe keine Verwendung der roten Farbe durch die Beklagte zu 2 in Deutschland. Der Bundesgerichtshof hat Ansprüche des Klägers für möglich gehalten, soweit die Beklagte zu 2 ihr in roter und weißer Farbe gestaltetes Logo bei der Formel-1-Veranstaltung „Großer Preis Santander von Deutschland 2010“ und bei ihrem Internetauftritt eingesetzt hat. Zwar hat die Beklagte zu 2 die rote Farbe in ihrem Logo nicht isoliert benutzt, sondern den roten Farbton in einem aus mehreren Elementen bestehenden Kombinationszeichen verwendet. Das Oberlandesgericht hat jedoch nicht geprüft, ob die abstrakte Farbmarke des Klägers eine in Deutschland bekannte Marke ist, mit der das Logo der Beklagten zu 2 im Rahmen ihres Internetauftritts verwechselt werden kann. Ist die rote Farbe eine bekannte Marke, kann der Kläger sich selbst wenn keine Verwechslungsgefahr bestehen sollte gegen die Verwendung des roten Farbtons durch die Beklagte zu 2 bei der Bandenwerbung und beim Internetauftritt wenden, wenn der angesprochene Verkehr das Logo der Beklagten zu 2 gedanklich mit der Farbmarke des Klägers verknüpft und die Klagemarke als Element des Marktauftritts des Klägers durch den Einsatz des roten Farbtons als Hausfarbe der Beklagten zu 2 beeinträchtigt wird. Die hierzu notwendigen Feststellungen muss das Oberlandesgericht nachholen.

Das Urteil

Bundesgerichtshof, Urteil vom 23.09.2015, I ZR 78/14

Vorinstanzen:

OLG Hamburg – Urteil vom 6. März 2014 – 5 U 82/11

LG Hamburg – Urteil vom 24. Februar 2011 – 315 O 263/10


Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshof vom 23.09.2015

Lindt gewinnt gegen Haribo: Goldbären etwas anderes als Schokoladenbären in Goldpapier

1200px-BGH_-_Palais_2Genussmittel und Rechtsmittel; Marke ist etwas anderes als Produktgestaltung

Der unter anderem für das Marken- und Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat heute entschieden, dass der Vertrieb einer in Goldfolie verpackten und mit einem roten Halsband versehenen Schokoladenfigur in Bärenform durch Lindt weder die Goldbären-Marken von Haribo verletzt noch eine unlautere Nachahmung ihrer Fruchtgummiprodukte darstellt.

Sachverhalt

Die Klägerin produziert und vertreibt Fruchtgummiprodukte. Zu den von ihr hergestellten Erzeugnissen gehören sogenannte „Gummibärchen“, die sie mit „GOLDBÄREN“ bezeichnet. Sie ist Inhaberin der für Zuckerwaren eingetragenen Wortmarken „Goldbären“, „Goldbär“ und „Gold-Teddy“. Die Beklagten vertreiben Schokoladenprodukte. Dazu zählen der „Lindt Goldhase“ sowie seit dem Jahr 2011 eine ebenfalls in Goldfolie verpackte Schokoladenfigur in Form eines sitzenden Bären mit roter Halsschleife, die sie selbst als „Lindt Teddy“ bezeichnen.

Die Klägerin verlangt von den Beklagten Unterlassung des Vertriebs der in Goldfolie eingewickelten Schokoladenfiguren in Bärenform und macht Ansprüche auf Auskunft, Vernichtung und Schadensersatzfeststellung geltend. Sie ist der Auffassung, die angegriffenen Figuren verletzten ihre Marken und stellten eine unlautere Nachahmung ihrer Gummibärchen dar.

In erster Instanz hatte die Klage Erfolg. Das Oberlandesgericht hat das erstinstanzliche Urteil abgeändert und die Klage abgewiesen. Der Bundesgerichtshof hat die Revision gegen das Berufungsurteil im Wesentlichen zurückgewiesen.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Ansprüche der Klägerin wegen Verletzung ihrer Markenrechte nach § 14 Abs. 2 Nr. 2 und 3 MarkenG bestehen nicht. Zwar sind die Marken „Goldbär“ und „Goldbären“ der Klägerin in Deutschland bekannte Marken, und die sich gegenüberstehenden Waren der Parteien sind sehr ähnlich. Jedoch fehlt es für die Annahme einer Verwechslungsgefahr oder einer gedanklichen Verknüpfung an einer Ähnlichkeit der Marken der Klägerin mit den angegriffenen Produktgestaltungen der Beklagten.

Stehen sich – wie im Streitfall – eine Wortmarke und eine dreidimensionale Produktgestaltung gegenüber, so kann die Zeichenähnlichkeit nicht aus einer Ähnlichkeit im Klang oder im Bild der Zeichen, sondern ausschließlich aus einer Ähnlichkeit im Bedeutungsgehalt folgen. Zu vergleichen sind ausschließlich die Wortmarke und die beanstandete Produktform. In den Zeichenvergleich ist dagegen nicht die Form der Produkte hier der Gummibärchen der Klägerin einzubeziehen, für die die Wortmarke benutzt wird. Eine Ähnlichkeit im Sinngehalt setzt voraus, dass die Wortmarke aus Sicht der angesprochenen Verbraucher die naheliegende, ungezwungene und erschöpfende Bezeichnung der dreidimensionalen Gestaltung ist. Hierbei sind an die Annahme der Zeichenähnlichkeit grundsätzlich strenge Anforderungen zu stellen, weil ansonsten die Gefahr bestünde, dass über eine Zeichenähnlichkeit im Sinngehalt einer Wortmarke mit einer dreidimensionalen Produktform eine weitgehende Monopolisierung von Warengestaltungen erfolgt, wie sie mit einer Bildmarke oder einer dreidimensionalen Warenformmarke, mit der eine bestimmte Produktform festgelegt sein muss, nicht zu erreichen ist. Nicht ausreichend ist, dass die Wortmarke nur eine unter mehreren naheliegenden Bezeichnungen der Produktform ist.

Im Streitfall besteht keine Zeichenähnlichkeit im Bedeutungsgehalt. Für die Bezeichnung der Lindt-Produkte kommen nicht nur die Angaben „Goldbären“ oder „Goldbär“ in Betracht. Ebenso naheliegend sind andere Bezeichnungen wie etwa „Teddy“, „Schokoladen-Bär“ oder „Schokoladen-Teddy“. Hinsichtlich einer weiteren Bildmarke der Klägerin, die eine stehende Bärenfigur zeigt, fehlt es ebenfalls an einer hinreichenden Zeichenähnlichkeit mit den in Goldfolie eingewickelten Schokoladenfiguren der Beklagten. Auf die Wortmarke „Gold-Teddy“ kann sich die Klägerin nicht berufen, da die Geltendmachung dieser Marke eine wettbewerbswidrige Behinderung der Beklagten im Sinne des § 4 Nr. 10 UWG darstellt. Die Klägerin hat diese Marke erst nach Kenntnis von der Vertriebsabsicht der Beklagten in das Markenregister eintragen lassen.

Wettbewerbsrechtliche Ansprüche der Klägerin bestehen ebenfalls nicht. Es handelt sich bei den angegriffenen Produktformen nicht um Nachahmungen der Produkte der Klägerin im Sinne des § 4 Nr. 9 UWG, weil eine ausreichende Ähnlichkeit zwischen den Gummibärchen der Klägerin und den Schokoladenfiguren der Beklagten nicht vorliegt.

Das Urteil

Urteil des Bundesgerichtshof, vom 23. 09.2015, Az. I ZR 105/14

Vorinstanzen:

LG Köln Urteil vom 20. Dezember 2012 – 33 O 803/11

OLG Köln Urteil vom 11. April 2014 – 6 U 230/12


Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 23.09.2015

Foto: Palais des Erbgroßherzogs Friedrich II. von Baden, heute Sitz des Bundesgerichtshofs, Vorderseite zur Zentralen Parkanlage, Karlsruhe. By ComQuat (Eigenes Werk) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons


Kommentar

Über was sich die Leute streiten müssen, wirklich! Ein in Goldpapier eingewickelter Bär aus Schokolade ist nun einmal etwas anderes als ein Haribo-Goldbär. Es schmeckt auch anders. Manchmal habe ich den Eindruck, die Markenrechtsabteilungen und Rechtsanwaltskanzleien flüstern ihren Mandanten etwas ins Ohr, was wie eine tolle Idee klingt, aber doch am Ende bitter schmeckt, oder anders, wie eben Gummibären und Schokolade. Rechtsmittel und Genussmittel, zwei, die sich gefunden haben, vor dem höchsten deutschen Zivilgericht.

Mit den allerbesten Grüßen

Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

Bundesgerichtshof: Framing erlaubt

Der 20150418_160515u.a. für das Urheberrecht zuständige I. Zivilsenat des Bundesgerichtshof hat heute entschieden, dass der Betreiber einer Internetseite keine Urheberrechtsverletzung begeht, wenn er urheberrechtlich geschützte Inhalte, die auf einer anderen Internetseite mit Zustimmung des Rechtsinhabers für alle Internetnutzer zugänglich sind, im Wege des „Framing“ in seine eigene Internetseite einbindet.

Das Berufungsgericht hat, so der BGH, mit Recht angenommen, dass die bloße Verknüpfung eines auf einer fremden Internetseite bereitgehaltenen Werkes mit der eigenen Internetseite im Wege des „Framing“ kein öffentliches Zugänglichmachen im Sinne des § 19a UrhG darstellt, weil allein der Inhaber der fremden Internetseite darüber entscheidet, ob das auf seiner Internetseite bereitgehaltene Werk der Öffentlichkeit zugänglich bleibt. Eine solche Verknüpfung verletzt auch bei einer im Blick auf Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft gebotenen richtlinienkonformen Auslegung des § 15 Abs. 2 UrhG grundsätzlich kein unbenanntes Verwertungsrecht der öffentlichen Wiedergabe. Der Gerichtshof der Europäischen Union hat auf das im vorliegenden Rechtsstreit eingereichte Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs ausgeführt, es liege keine öffentliche Wiedergabe vor, wenn auf einer Internetseite anklickbare Links zu Werken bereitgestellt würden, die auf einer anderen Internetseite mit Erlaubnis der Urheberrechtsinhaber für alle Internetnutzer frei zugänglich seien. Das gelte auch dann, wenn das Werk bei Anklicken des bereitgestellten Links in einer Art und Weise erscheine, die den Eindruck vermittele, dass es auf der Seite erscheine, auf der sich dieser Link befinde, obwohl es in Wirklichkeit einer anderen Seite entstamme.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 09.07.2015


Die Entscheidung ist uneingeschränkt zu begrüßen! Als Faustformel und auf den Punkt gebracht, kann man zusammenfassen, was einmal veröffentliche wurde, kann nicht noch einmal veröffentlicht werden (und dadurch Ansprüche auslösen). Ist die Katze erst einmal aus dem Sack, dann ist sie wirklich frei. Die juristische Begründung ist freilich weitaus komplizierter. Folgen Sie dem Link zur Pressemitteilung oben, wenn Sie die Thematik vertiefen möchten.

Viel Freude dabei wünscht Ihnen

Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel

Der BGH und das file sharing – Morpheus II

Bundesgerichtshof zur Schadensersatz-Pflicht wegen Teilnahme an Internet-Tauschbörse

Urteile vom 11. Juni 2015 – I ZR 19/14, I ZR 21/14 und I ZR 75/14

Lizenzanalogie: 200 Euro pro Titel; Umstand, dass Eltern für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem „ordentlichen Verhalten“ aufgestellt haben, reicht für ihre Enthaftung nicht aus

20150531_163812Die Klägerinnen sind vier führende deutsche Tonträgerherstellerinnen. Nach den Recherchen des von ihnen beauftragten Softwareunternehmens proMedia wurden am 19. Juni 2007, am 19. August 2007 und am 17. Dezember 2007 über IP-Adressen eine Vielzahl von Musiktiteln zum Herunterladen verfügbar gemacht. In den daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden die drei vor dem Oberlandesgericht in Anspruch genommenen Beklagten als Inhaber der den jeweiligen IP-Adressen zugewiesenen Internetanschlüsse benannt. Die Klägerinnen sehen hierin eine Verletzung ihrer Tonträgerherstellerrechte und ließen die Beklagten durch Anwaltsschreiben abmahnen. Sie nehmen die Beklagten in verschiedenen Verfahren jeweils auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3.000 € sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. …

In dem Rechtsstreit I ZR 75/14 ist das Vorbringen des Beklagten, er und seine Familie seien bereits am 18. Juni 2007 in den Urlaub gefahren und hätten vor Urlaubsantritt sämtliche technischen Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt, durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau nicht bewiesen worden. Der Beklagte ist für die Verletzungshandlung auch als Täter verantwortlich. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, der Beklagte habe nicht dargelegt, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzungen in Betracht kommen. Damit greift die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses ein.

In dem Verfahren I ZR 7/14 hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Tochter der Beklagten die Verletzungshandlung begangen hat. Hierbei hat sich das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nicht nur auf das im polizeilichen Vernehmungsprotokoll dokumentierte Geständnis der Tochter gestützt, sondern zudem berücksichtigt, dass das Landgericht die Tochter auch selbst als Zeugin vernommen und diese dabei nach ordnungsgemäßer Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht ihr polizeiliches Geständnis bestätigt hat. Die Beklagte ist für den durch die Verletzungshandlung ihrer damals minderjährigen Tochter verursachten Schaden gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB verantwortlich. Zwar genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt (BGH, Urteil vom 15. November 2012 – I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 Rn. 24 – Morpheus). Das Berufungsgericht hat im Streitfall jedoch nicht feststellen können, dass die Beklagte ihre Tochter entsprechend belehrt hat. Der Umstand, dass die Beklagte für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem „ordentlichen Verhalten“ aufgestellt haben mag, reicht insoweit nicht aus.

Bei der Bemessung des Schadensersatzes in Form der Lizenzanalogie ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei von einem Betrag von 200 € für jeden der insgesamt 15 in die Schadensberechnung einbezogenen Musiktitel ausgegangen. Das Berufungsgericht hat schließlich mit Recht auch einen Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten angenommen und dessen Höhe auf der Basis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes berechnet.

Quelle + mehr: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs, Nr. 092/2015 vom 11.06.2015


Der BGH verlangt in der Morpheus-Entscheidung eine Belehrung der Kinder. Wenn sie nur „allgemeine Regeln“ für ein „ordentliches Verhalten“ mitbekommen haben, reicht das natürlich nicht aus. Sehr zu begrüßen ist die „Deckelung“ auf 200 Euro Lizenz-Schadensersatz pro Titel, wobei ich eine Rabattstaffel vermisse, denn es ging vorliegend immerhin um 15 Titel. Nach wie vor aber gutes Wetter für das, was Einige teilweise als Abmahnindustrie bezeichnen. Perspektivisch wird es nicht haltbar sein, die Konsumenten von Musik an diesem konsumieren zu hindern. Das wäre ja auch ziemlich sinnlos und unlogisch, denn Musik, wie Kunst überhaupt, ist auf Veröffentlichung und den Genuss durch viele angelegt. Zwischen dem berechtigten Interesse der Urheber und dem berechtigten Interesse der Nutzer, nicht von Abmahnungen überzogen zu werden, die Kostenexplosionen (wie Verfahren bis vor den BGH) zur Folge haben können, muss aber ein anderer Weg gefunden werden, als der bislang praktizierte. Das ein Beitrag in Anlehnung an die Lizenz gezahlt werden muss, ist klar. Aber die Rechtsverfolgungskosten dürfen nicht allein gegen die Nutzer gehen, weil auch das immer wieder betonte Interesse der Urheber sich darin niederschlagen sollte, dass diese an den Kosten beteiligt werden, denn schließlich haben beide Seiten, Urheber und Nutzer, die Gerichte zu gleichen Teilen beschäftigt. Sie sehen, worauf ich hinaus möchte: In solchen Fällen, wie auch den Übrigen, in denen Abmahnungen eingesetzt werden (z.B. Wettbewerbsrecht), sollte jeder seine Kosten selbst tragen, wie es sich vor den Arbeitsgerichten erster Instanz bewährt hat. Wer abmahnen will und (angeblich) abmahnen muss, dem soll es das auch Wert sein. Dann regulieren sich die Streitwert übrigens ganz von selbst.

Herzlichst Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel