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eBay = billig. BGH: Schadensersatz wegen abgebrochener eBay-Aktion

Der Bundesgerichtshof und das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“

Der Fall

2014-11-06 18.52.07„Karlsruhe – Im Streit über ein zurückgezogenes Auto-Angebot auf der Online-Auktionsplattform Ebay hat nun der Bundesgerichtshof BGH in Karlsruhe entschieden. Demnach muss derjenige, der sein Auto bei Ebay in einer Auktion anbietet, das Fahrzeug auch dort verkaufen. Der Anbieter darf die Auktion nicht vorzeitig beenden und das Fahrzeug anderweitig verkaufen – ansonsten hat der Bieter Recht auf Schadensersatz in Höhe des Sachwerts. So die Entscheidung des Gerichts Aktenzeichen VIII ZR 42/14.“

Foto: Wentzel privat / Text-Quelle: BGH-Urteil zu Ebay-Autokauf: Anbieter muss Bieter Schadenersatz zahlen – SPIEGEL ONLINE.

Bundesgerichtshof

Foto: Thomas Steg
Quelle: Wikipedia
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Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

„Der unter anderem für das Kaufrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass der Kaufvertrag nicht wegen Sittenwidrigkeit (§ 138 Abs. 1 BGB) nichtig ist. Bei einer Internetauktion rechtfertigt ein grobes Missverhältnis zwischen dem Maximalgebot des Käufers und dem Wert des Versteigerungsobjekts nicht ohne Weiteres den Schluss auf eine verwerfliche Gesinnung des Bieters im Sinne von § 138 Abs. 1 BGB. Es macht gerade den Reiz einer Internetauktion aus, den Auktionsgegenstand zu einem „Schnäppchenpreis“ zu erwerben, während umgekehrt der Veräußerer die Chance wahrnimmt, einen für ihn vorteilhaften Preis im Wege des Überbietens zu erzielen. Besondere Umstände, aus denen auf eine verwerfliche Gesinnung des Klägers geschlossen werden könnte, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt.“

Quelle: >>>Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs vom 12.11.2014

Kritik

Die Entscheidung darf zurückhaltend als einigermaßen einschneidend bezeichnet werden. Bislang war der Einwand der Sittenwidrigkeit, neben dem Einwand des Rechtsmissbrauchs gegenüber dem gezielten Ausspähen abgebrochener Auktionen oder der Anfechtung, ein denkbarer und gut handhabbarer „Notausgang“ aus einem Vertrag, den man eigentlich nicht wollte, der ungerecht war, weil er eben dieses grobe Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung aufwies. Dem hat der Bundesgerichtshofs nun einen krachenden Riegel vorgeschoben, getreu einer einfachen, aber falschen Formel: eBay = billig = Schnäppchen.

eBay = billig = Schnäppchen?

Denn die so vom Bundesgerichtshof angewandte Formel ist nur so gut und so richtig, als deren Voraussetzungen den Tatsachen entsprechen. Und ob dies generell so gesagt werden kann (eBay = billig), daran mag man berechtigte Zweifel haben. Gleichwohl hat der Bundesgerichtshof entschieden. Die Folge davon ist, dass Verkäufer künftig lieber zweimal hinschauen sollten, ob alle Angaben, insbesondere der Preis, stimmen, bevor Sie ein Angebot bei eBay einstellen. Da dies in vielen nahezu vollautomatisch arbeitenden Bereichen technisch und tatsächlich gar nicht möglich ist, lässt neben der Kritik an der Formel „eBay = billig“ weiteres Unbehagen aufkommen. Der Einwand der Sittenwidrigkeit war eben nicht nur ein hilfreicher, sondern auch ein manchmal schlicht notwendiger Rettungsanker. Es bleibt die Begründung des Bundesgerichtshofs abzuwarten. Ein großes Ausrufungszeichen wird man allerdings bereits jetzt an diese Entscheidung setzen müssen. Die These „eBay = billig“ wird auch nicht dadurch richtiger, dass man ihr die „Chance“ gegenüberstellt, dass im Rahmen einer Auktion auch einmal mehr geboten würde, als eine Sache wert ist. Das mag für Kunstauktionen gelten, aber nicht für eBay. Bei eBay ist es wohl meist doch so, dass die Sachen unter Wert über die virtuelle Ladentheke gehen. Der vorliegende Fall zeigt das besonders deutlich.

Juristischer Hintergrund

§ 138 BGB ist wie § 242 BGB eine Generalklausel, welche den „fehlenden sozialen/sozialistischen Tropfen im BGB“ (Otto v. Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts. Vortrag, gehalten am 05.04.1889 in der juristischen Gesellschaft zu Wien, 1889, Seite 13, zitiert nach: Universität Potsdam, Tag der Juristischen Fakultät, 100 Jahre BGB, Seite 9, Fußnote 6) ausgleichen oder ersetzen sollen.

So ist ein Rechtsgeschäft, das gegen „die guten Sitten“ (das ist die eigentliche Generalklausel) verstößt, nichtig (§ 138 Abs. 1 BGB). Wann ein Verstoß gegen die guten Sitten vorliegt, hängt von gesellschaftlichen Normen und auch stark von der Zeitepoche ab, in der diese Norm gerade angewendet werden soll. Gemeinhin werden die guten Sitten definiert als das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden„, einer Definition des Reichsgerichts in Zivilsachen (RGZ 48, 114, 124), was zugegebenermaßen auch wiederum „nur“ eine Generalklausel darstellt, die ihrerseits ausfüllungsbedürftig ist. Diese Ausfüllung geschieht durch den Rechtsanwender, natürlich namentlich durch den Bundesgerichtshof.

Im letzten Teil des Absatz 2 von § 138 BGB heißt es: „Nichtig ist insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen“. Damit sind namentlich „Wucherzinsen“ gemeint. Allerdings hat die Rechtsprechung den Gedanken des „auffälligen Missverhältnisses“ aufgegriffen: Indes führt ein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht allein zur Nichtigkeit eines Vertrages, hinzutreten müssen vielmehr weitere sittenwidrige Umstände, etwa eine verwerfliche Gesinnung (BGHZ 80, 156; Palandt, BGB-Kommentar, C. H. Beck, München, § 138 Rn. 34). Diese „verwerfliche Gesinnung“ nun konnte der Bundesgerichtshof beim eBay-Käufer, der das Auto für einen Euro ersteigerte, nicht feststellen. Somit ist der Bundesgerichtshof seiner Rechtsprechung treu geblieben.

Ob es allerdings das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ nicht doch verletzt, dass jemand für einen Euro ein Auto ersteigert, welches etwa 2.500 Euro wert ist, bleibt als unbeantwortete Frage im fahlen Licht des Raumes stehen.

Wie es richtig geht

Für vieles im Leben gibt es neben der juristischen Lösung auch eine praktische Lösung, die noch dazu meist auch kostengünstiger ist! Natürlich ist man hinterher immer schlauer. Aber für all diejenigen, für die „jetzt“ noch „vorher“ ist, hier eine Anleitung von eBay, wie man ein Angebot bei eBay, beim Vorliegen berechtigter Gründe, richtig und Schadensersatz so weit als möglich vermeidend, beendet: „So beenden Sie ein aktives Angebot mithilfe des eBay-Formulars

Selbst in den Fall, dass das Angebot nicht mehr beendet werden kann, gibt es noch einige Optionen. Dazu nochmals eBay: „Steht Ihnen wegen des Zeitablaufs das eBay-Formular zur Beendigung von Angeboten nicht mehr zur Verfügung, können Sie sich nur durch eine direkte Erklärung gegenüber dem Käufer von Ihrem Angebot lösen. Mehr zum Thema So gehen Sie vor, wenn Sie das Angebot nicht vorzeitig beenden können

Aktenzeichen

Bundesgerichtshof, Aktenzeichen: VIII ZR 42/14, Entscheidung vom 12. November 2014, schriftliche Begründung steht noch aus


Siehe auch MIR – MEDIEN INTERNET und RECHT, Tagesschau, und FOCUS Online

Vgl. auch nahezu gegenteilige BGH-Rechtsprechung, nachgewiesen bei Internetrecht Rostock