Bundesgerichtshof zur Schadensersatz-Pflicht wegen Teilnahme an Internet-Tauschbörse
Urteile vom 11. Juni 2015 – I ZR 19/14, I ZR 21/14 und I ZR 75/14
Lizenzanalogie: 200 Euro pro Titel; Umstand, dass Eltern für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem „ordentlichen Verhalten“ aufgestellt haben, reicht für ihre Enthaftung nicht aus
Die Klägerinnen sind vier führende deutsche Tonträgerherstellerinnen. Nach den Recherchen des von ihnen beauftragten Softwareunternehmens proMedia wurden am 19. Juni 2007, am 19. August 2007 und am 17. Dezember 2007 über IP-Adressen eine Vielzahl von Musiktiteln zum Herunterladen verfügbar gemacht. In den daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden die drei vor dem Oberlandesgericht in Anspruch genommenen Beklagten als Inhaber der den jeweiligen IP-Adressen zugewiesenen Internetanschlüsse benannt. Die Klägerinnen sehen hierin eine Verletzung ihrer Tonträgerherstellerrechte und ließen die Beklagten durch Anwaltsschreiben abmahnen. Sie nehmen die Beklagten in verschiedenen Verfahren jeweils auf Schadensersatz in Höhe von insgesamt 3.000 € sowie auf Ersatz von Abmahnkosten in Anspruch. …
In dem Rechtsstreit I ZR 75/14 ist das Vorbringen des Beklagten, er und seine Familie seien bereits am 18. Juni 2007 in den Urlaub gefahren und hätten vor Urlaubsantritt sämtliche technischen Geräte, insbesondere Router und Computer vom Stromnetz getrennt, durch die Vernehmung der beiden Söhne des Beklagten und seiner Ehefrau nicht bewiesen worden. Der Beklagte ist für die Verletzungshandlung auch als Täter verantwortlich. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, der Beklagte habe nicht dargelegt, dass andere Personen zum Tatzeitpunkt selbständigen Zugang zu seinem Internetanschluss hatten und deshalb als Täter der geltend gemachten Rechtsverletzungen in Betracht kommen. Damit greift die tatsächliche Vermutung der Täterschaft des Inhabers eines Internetanschlusses ein.
In dem Verfahren I ZR 7/14 hat das Berufungsgericht zu Recht angenommen, dass die Tochter der Beklagten die Verletzungshandlung begangen hat. Hierbei hat sich das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei nicht nur auf das im polizeilichen Vernehmungsprotokoll dokumentierte Geständnis der Tochter gestützt, sondern zudem berücksichtigt, dass das Landgericht die Tochter auch selbst als Zeugin vernommen und diese dabei nach ordnungsgemäßer Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht ihr polizeiliches Geständnis bestätigt hat. Die Beklagte ist für den durch die Verletzungshandlung ihrer damals minderjährigen Tochter verursachten Schaden gemäß § 832 Abs. 1 Satz 1 BGB verantwortlich. Zwar genügen Eltern ihrer Aufsichtspflicht über ein normal entwickeltes Kind, das ihre grundlegenden Gebote und Verbote befolgt, regelmäßig bereits dadurch, dass sie das Kind über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internettauschbörsen belehren und ihm eine Teilnahme daran verbieten. Eine Verpflichtung der Eltern, die Nutzung des Internets durch das Kind zu überwachen, den Computer des Kindes zu überprüfen oder dem Kind den Zugang zum Internet (teilweise) zu versperren, besteht grundsätzlich nicht. Zu derartigen Maßnahmen sind Eltern erst dann verpflichtet, wenn sie konkrete Anhaltspunkte dafür haben, dass das Kind dem Verbot zuwiderhandelt (BGH, Urteil vom 15. November 2012 – I ZR 74/12, GRUR 2013, 511 Rn. 24 – Morpheus). Das Berufungsgericht hat im Streitfall jedoch nicht feststellen können, dass die Beklagte ihre Tochter entsprechend belehrt hat. Der Umstand, dass die Beklagte für ihre Kinder allgemeine Regeln zu einem „ordentlichen Verhalten“ aufgestellt haben mag, reicht insoweit nicht aus.
Bei der Bemessung des Schadensersatzes in Form der Lizenzanalogie ist das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei von einem Betrag von 200 € für jeden der insgesamt 15 in die Schadensberechnung einbezogenen Musiktitel ausgegangen. Das Berufungsgericht hat schließlich mit Recht auch einen Anspruch auf Ersatz von Abmahnkosten angenommen und dessen Höhe auf der Basis des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes berechnet.
Quelle + mehr: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs, Nr. 092/2015 vom 11.06.2015
Der BGH verlangt in der Morpheus-Entscheidung eine Belehrung der Kinder. Wenn sie nur „allgemeine Regeln“ für ein „ordentliches Verhalten“ mitbekommen haben, reicht das natürlich nicht aus. Sehr zu begrüßen ist die „Deckelung“ auf 200 Euro Lizenz-Schadensersatz pro Titel, wobei ich eine Rabattstaffel vermisse, denn es ging vorliegend immerhin um 15 Titel. Nach wie vor aber gutes Wetter für das, was Einige teilweise als Abmahnindustrie bezeichnen. Perspektivisch wird es nicht haltbar sein, die Konsumenten von Musik an diesem konsumieren zu hindern. Das wäre ja auch ziemlich sinnlos und unlogisch, denn Musik, wie Kunst überhaupt, ist auf Veröffentlichung und den Genuss durch viele angelegt. Zwischen dem berechtigten Interesse der Urheber und dem berechtigten Interesse der Nutzer, nicht von Abmahnungen überzogen zu werden, die Kostenexplosionen (wie Verfahren bis vor den BGH) zur Folge haben können, muss aber ein anderer Weg gefunden werden, als der bislang praktizierte. Das ein Beitrag in Anlehnung an die Lizenz gezahlt werden muss, ist klar. Aber die Rechtsverfolgungskosten dürfen nicht allein gegen die Nutzer gehen, weil auch das immer wieder betonte Interesse der Urheber sich darin niederschlagen sollte, dass diese an den Kosten beteiligt werden, denn schließlich haben beide Seiten, Urheber und Nutzer, die Gerichte zu gleichen Teilen beschäftigt. Sie sehen, worauf ich hinaus möchte: In solchen Fällen, wie auch den Übrigen, in denen Abmahnungen eingesetzt werden (z.B. Wettbewerbsrecht), sollte jeder seine Kosten selbst tragen, wie es sich vor den Arbeitsgerichten erster Instanz bewährt hat. Wer abmahnen will und (angeblich) abmahnen muss, dem soll es das auch Wert sein. Dann regulieren sich die Streitwert übrigens ganz von selbst.
Herzlichst Ihr Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel