Welche Bedeutung wird der Filial-Handel als Vertriebskanal in Zukunft noch haben?
Die geosoziale Bedeutung des stationären Handels vor Ort wird stark zunehmen. Soziale Netzwerke im Internet, wie z.B. Facebook oder XING, vernetzen zwar die Nutzer und sammeln deren Daten, führen aber – entgegen ihrer Bezeichnung Sozial Network – zu einer tatsächlichen Vereinsamung der vernetzten Individuen. Das persönliche Kauferlebnis, mit einem tatsächlich anfassbaren Kaufmann oder Krämer, das persönliche Beratungsgespräch und auch der Umstand, dass der Käufer sich wünscht, jemanden zu haben, der ihm im buchstäblichen Sinne „haftet“; all das wird zu einer steigenden Bedeutung des stationären Handels führen. Nicht umsonst besteht eine Tendenz bei vielen Onlinehändlern, neben ihrem Onlinehandel, als zweiten, aber späteren Zweig, ein stationäres Ladengeschäft zu eröffnen und erfolgreich zu unterhalten. Das Einkaufen im Internet und das Einkaufen vor Ort sind unterschiedliche soziale Interaktionen und können sich damit nicht verdrängen, sondern nur sinnvoll ergänzen. Vor diesem Hintergrund werden sich sowohl der Filial-Handel im Internet, als auch der Filial-Handel vor Ort jeweils wachstümlich entwickeln. Übrigens wird in beiden Bereichen, Online- und Offlinehandel, in Zukunft der Bereich Dienstleistung an Bedeutung zunehmen, denken Sie an Pizzabestellungen über das Internet, Bewerbungen über XING oder Bestellungen im Ladengeschäft, welche über den zum Filialnetz gehörenden Onlineshop ausgeführt werden und umgekehrt; wenn also die online bestellte Ware vor Ort in der Filiale abgeholt oder zurückgegeben werden kann einschließlich Reklamationsabwicklung und Service.
Wie viele verschiedene Zahlungsarten sollte ein Online-Shop-Betreiber anbieten und auf welche sollte er keinesfalls verzichten?
Wenn der Onlineshop-Betreiber wirklich verkaufen will, dann sollte er Kauf auf Rechnung anbieten. Es gibt inzwischen einige verlässliche Systeme, welche die klassischen Risiken in diesem Bereich absichern, womit vor allem die Gefahr des Nichtbezahlens zu Lasten des Rechnungsverkäufers gemeint ist. Die in den Vereinigten Staaten verbreitete Möglichkeit des Bezahlens mit Kreditkarte schafft auf Grund der Rückbuchungsmöglichkeit zu Gunsten des Käufers, aber auch durch die Garantiefunktion zu Gunsten des Verkäufers eine ausgewogene Bezahlungssituation. Der Verkäufer sollte den Kauf auf Kreditkarte anbieten. Ähnliche Systeme, wie z.B. Paypal, erfahren zunehmende Verbreitung und Akzeptanz, brauchen aber meiner Meinung nach aus der gefühlten Verbrauchersicht einfach noch etwas Zeit, um beim durchschnittlichen Verkäufer „anzukommen“. Auf einigen Plattformen erscheint Paypal bereits quasiobligatorisch; der Verkäufer hat also keine besonders hohe Einschätzungsprärogative, diese Zahlungsart anzubieten oder nicht. Das „Zahlen Sie bequem per Vorkasse“ ist eine Zahlungsart, die zwar den Verkäufer begünstigt, trotzdem aber nicht so absatzfördernd wirkt wie der Verkauf auf Rechnung. Die meisten Verkäufer werden ihn anbieten, schon von sich aus. Abstand gewinnen in der Mehrzahl sowohl Verkäufer als auch Käufer von der Nachnahmezusendung wegen des damit verbunden hohen Frustrations- und Kostenaufwands, obwohl Nachnahmeversand durchaus auch seine Wachstumsbereiche hat, denken Sie nur an kurzfristig bestelle Autoteile, mit denen am Wochenende „geschraubt“ werden soll, ohne, dass der Zahlungseingang beim Verkäufer abgewartet zu werden braucht.
Wie steht es um die Entwicklung eines standardisierten und international anerkannten Bezahlsystems und welche Vorteile hätte ein solches?
Bezahlung mit Kreditkarte und Paypal dürften diese Systeme sein; es gibt sie also bereits. Sicher gibt es darüber hinaus Visionen, der Standard sollte sich aber durch Angebot und Nachfrage von sich aus entwickeln und nicht erst das Ergebnis einer jahrzehntelangen Expertendiskussion sein. Aus heutiger Sicht muss dieser Standard eine namentlich von deutschen Finanzämtern akzeptierte, verständliche, periodische Abrechnung und Belegerstellung beinhalten, sonst stürzt sie den anwendenden Verkäufer in ein buchhalterisches Chaos und setzt ihn Umsatzsteuer- und Einkommensteuernachforderungen aus, die existenzbedrohend wirken können. Ein solches System muss natürlich im besten Falle „sicher“ sein. Solange Währung noch ein supranationales (Euro) und noch kein internationales Phänomen ist, werden solche Zahlungssysteme ihre Schwierigkeiten haben. Das gilt vor allen, wenn man genauer hinsieht. Die Postbriefmarke z.B. ist trotz einer europäischen Währung immer noch national verschieden, obwohl gerade die Post es bewerkstelligt, mit diesem Abrechnungssystem insbesondere in andere Länder zu verschicken. Vielleicht wäre das ein gedanklicher Ansatz dafür, auch Geld mit einem sicheren und abrechenbaren System weltweit zu handeln, so wie das mit Währungen an den Börsen ja bereits der Fall ist. All diese Mechanismen und Gesetzmäßigkeiten zu synchronisieren, ein technisch einwandfrei funktionierendes System zu schaffen, das auch noch sicher ist, die Gesetze jedes Landes zu beachten und dabei auch noch brandneu und aktuell zu sein; das wären die Vorgaben für ein standardisiertes und international anerkanntes Bezahlsystem. Ober man gebraucht einfach seine Kreditkarte oder bezahlt mit Paypal.
Zahlungsausfälle sind ein sensibles Thema. Bei welchen Zahlungsarten ist der Shop-Betreiber auf der sicheren Seite?
Der Shop-Betreiber ist bei Vorkasse auf der sicheren Seite, wenn die Rückbuchungsfrist abgelaufen ist. Bei Nachnahme ist der Verkäufer ebenso auf der sicheren Seite. Es ist aber nicht Aufgabe des Verkäufers, auf der sicheren Seite zu sein, da bleibt er nämlich auf seinen Waren sitzen. Vielmehr muss sich der Verkäufer auf den Käufer zubewegen, ihn aufsuchen, wo immer er ist und was immer er auch tut. Der Verkäufer muss in erster Linie verkaufen, das erwartet der Käufer von ihm. Dieses Ziel erreicht der Verkäufer mit abgesichertem Rechnungsverkauf. Die aufkommenden Sicherungssysteme machen den Rechnungskauf auch für den Verkäufer sicher. Durch Steigerung seines Umsatzes muss der Verkäufer Einbußen einkalkulieren, die dadurch entstehen, dass er sich auf seinen Käufer zubewegt, z.B. mit Rechnungsverkauf. Verkäufersichere Systeme, wie Vorkasse oder Nachnahme, vereinsamen den Verkäufer und versauern seine Ware; von einzelnen Bereichen abgesehen, in denen Vorkasse erfolgreich läuft, wie Onlinepizzakauf oder Autoteilekauf auf Wochenende. Der Verkäufer ist also sicher oder erfolgreich.
Welche Gefahren bestehen beim E- und M-Commerce sowie den entsprechenden E- und M-Payment-Lösungen für den Kunden?
Die Gefahren sind bekannt: Das Geld kommt dort an, wo es nicht ankommen soll, nämlich bei der internationalen organisierten Kriminalität. Diese verfügt übrigens bereits über funktionierende Techniken und Standards. Darüber hinaus: Das „Konto“ des Kunden wird durch unautorisierte Dritte angezapft mit der Methode, die sich auf dem E- oder gar M-Bezahlweg mitteilt. Auch wenn die PIN über das Handy kommt, wird Onlinebanking nur bedingt sicherer: Wer die Onlineverbindung einsehen kann, wird sich auch Zugang zur Handyverbindung verschaffen.
Was sollten zukünftige Sicherheitsstandards im E- und M-Commerce berücksichtigen?
Die Sicherheitsstandards hinken immer hinter der Entwicklung hinterher. Wie gesagt: Der Geldfluss müsste sicher sein. Also die versendeten Daten dürften nur von Sender und Empfänger zu lesen sein; darüber hinaus dürfte ein Zugriff auf die jeweils weiteren Datenbestände von Empfänger und Sender physikalisch unmöglich sein. Die versendeten Daten müssten auch vor zwischenzeitlicher Manipulation und Veränderung sicher sein. Sie sehen: Es gibt keine absoluten Schutz, es kann keine absolut sicheren Standards geben. Die Vorgaben, meist Utopie, sind bekannt. Sichere Standards daraus zu entwickeln, dürfte dann wohl eher eine Frage der Technik sein, als eine Frage des Rechts. Aber auch hier gibt es eine Alternativität: Absolut sicher sind Ihre Daten nur dann, wenn Sie sich ihrer nicht begeben. Sobald Sie Daten verwenden oder gar verschicken, kann und wird es nur eine relative Sicherheit geben, die der Preis für die mit dem Zahlsystem eingegangene Bequemlichkeit ist.
Wie beurteilen Sie die ausgereifte Payment-Infrastruktur großer Internetunternehmen wie Google oder Facebook hinsichtlich des Finanzsektors – Müssen Geldinstitute um weitere Konkurrenten fürchten? Inwiefern bestehen berechtigte Sorgen hinsichtlich der Sicherheit sensibler Bank- und Personaldaten?
So lange Google oder Facebook nicht selbst als Bankinstitute agieren (wie z.B. Paypal), indem sie Geldtransfer im eigenen Namen und auf eigene Rechnung vornehmen, haben die Geldinstitute noch keine Konkurrenz. Die Payment-Infrastruktur der Plattform kann nur so sicher oder unsicher sein, wie die Plattform selbst. Gerade Facebook wird von Datenschützern ja immer wieder angegriffen. Google oder Facebook werden als „Shops“ im weitesten Sinne agieren; nicht als Banken. Sie bleiben „Marktplätze“, womit die Frage der Sicherheit des Zahlungsverkehrs letztendlich immer auch im Verantwortungsbereich des Käufers bleiben wird und seiner Bank. Die Sorgen hinsichtlich der Sicherheit sind, soweit die Statistik reicht, wohl berechtigt. Die Plattformen werden sicherer werden, was die Käufer allerdings bereits jetzt nicht davon abhält, sich auf diese Plattformen einzulassen, trotz oder gerade wegen der Sicherheitsbedenken. Die Payment-Infrastruktur bleibt weiterhin entwicklungsbedürftig. Das hängt zum einen damit zusammen, dass Shops und Plattformen aus der Entwicklung heraus warenabsatzorientiert arbeiten, während der Fluss des Geldes erst in letzter Zeit nicht mehr zwischen Kunden und Bank direkt, sondern unter zunehmender Einbeziehung der Plattform selbst oder ihr verbundener Unternehmen geschieht; indem Paypal z.B. wie ein Treuhänder oder eben selbst als Bank auftritt. Das Bezahlen „über“ die Plattform ist „neu“. Infolge dessen hinken Technik und Recht hinterher. Denken Sie nur an die spannende Frage: Braucht eBay eine Lizenz der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin-Lizenz, Banklizenz)?
Welche zukünftigen Sicherheitstechnologien werden derzeit entwickelt?
Diese Frage könnten Ihnen die Entwickler beantworten, die für die Ministerien der Länder und des Bundes sowie für die einzelnen Plattformbetreiber arbeiten, wenn sie sich nicht zu absoluten Stillschweigen verpflichtet hätten. Technologie ist nur so lange sicher, wie sie geheim ist.
Wie wird der E-Shop der Zukunft aussehen?
Einheitlich. Vor allem einheitlich. Die Kaufabwicklung wird einheitlich und standardisiert sein. Es wird nicht mehr jeder etwas anderes unter „anmelden“, „einloggen“, „registrieren“ etc. verstehen. Der Kaufbutton wird nicht mehr in jedem Shop anders heißen („Jetzt bestellen“, „Bestellung abschicken“, „Bestellung absenden“, „kaufen“ etc.). Nachdem die Shops in Aufbau und Ablauf einheitlich geworden sind, wird es vielleicht ein einheitliches und universelles Shopsystem geben, in dem jeder verkaufen oder kaufen kann; eine Plattform, die sich selbst so weit zurücknimmt, dass sie als „Vermittler“ überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden wird. Ich spreche von einer direkten technischen und rechtlichen Beziehung zwischen Verkäufer und Käufer, die zwar durch das Medium Internet vermittelt wird, aber nicht mehr dadurch behindert wird; etwa dadurch, dass man sich „anmelden“ muss, eine „Bezahlart“ auswählen muss, Kaufsache oder Geld auf Abwege geraten, Beschädigung oder Dezimierung erfahren etc. Indem also Käufer und Verkäufer unmittelbar und Dritte (Plattform, Störer) ausschließend über das Netz kommunizieren, sich also Hürden und Gefahren gleichsam zurücknehmen lassen; das könnte der Shop der Zukunft sein. Dieser müsste freilich wirklich erst einmal erfunden werden.

Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel,
https://www.facebook.com/onlinehandelsrecht
Interview für VISAVIS,
Verlagsgesellschaft für Wirtschaftskommunikation
Dresden, 28.10.2011
Rechtsanwalt Wolfgang Wentzel ist Beauftragter des Vorstands des Bundesverbandes Onlinehandel e.V. (BVOH)

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